Auf der alljährlichen ANC-Konferenz in Bloemfontein nahm die Organisation das
Aktionsprogramm der Liga an, das zu Boykotts, Streiks, zum Daheimbleiben, zu
passivem Widerstand, Protestdemonstrationen und anderen Formen von
Massenaktionen aufrief.
Dies war ein radikaler Wandel: es war immer ANC-Politik gewesen, seine Aktivitäten
im Rahmen des Gesetzlichen zu halten. Wir von der Jugendliga hatten miterlebt, wie
legale und konstitutionelle Mittel nicht das geringste ausgerichtet hatten gegen
rassische Unterdrückung. Nun sollte die ganze Organisation in ein aktivisterischeres
Stadium eintreten.
Am 1. Mai 1950 fand ein erster Streik statt. Vorsorglich verbot die Regierung alle
Versammlungen und Zusammenkünfte an diesem Tag. Mehr als zwei Drittel der
afrikanischen Arbeiter blieben während des eintägigen Streiks zu Hause. Die
Demonstrationen wurden von berittenen Polizisten niedergeknüppelt, 18 Afrikaner
starben und viele weitere wurden verletzt.
Wochen später brachte die Regierung den berüchtigten „Suppression of
Communism Act“ ein. Das Gesetz verbot vor allem die Kommunistische Partei von
Südafrika. Es war aber so weit gefasst, dass es der Regierung ermöglichte, jede
Organisation zu verbieten und jede Person zu verhaften, die gegen ihre Politik
opponierte.
Daraufhin beschloss der ANC (unterstützt vom TIC und APO) für den 26. Juni 1950
einen nationalen Tag des Protests gegen die Ermordung von 18 Afrikanern am 1.Mai
und gegen die Verabschiedung des Kommunistenverbots.
Einige Zeit vorher war Nelson Mandela in das Nationale Exekutivkomitee des ANC
gewählt worden. „Das war ein erregende Gefühl, aber nicht ohne gemischte
Empfindungen. In gewisser Weise ist es einfacher, Dissident zu sein, weil man keine
Verantwortung trägt. Als Mitglied der Exekutive hatte ich Argumente abzuwägen
und Entscheidungen zu treffen und damit zu rechnen, von Rebellen kritisiert zu
werden, wie ich selbst einer gewesen war.“ (Mandela*, S. 165)
Zur Vorbereitung für den 26. Juni reisten Nelson Mandela und Walter Sisulu durch
das Land, um sich mit lokalen Führern zu beraten. Zum Protesttag schreibt Mandela:
„Der Tag des Protestes war der erste Versuch des ANC, einen politischen Streik
nationalen Ausmaßes durchzuführen, und er war nur ein mäßiger Erfolg (….) Doch
er stärkte unsere Moral, machte uns unsere Stärke bewusst und warnte die
Regierung Malan, dass wir angesichts der Apartheid nicht passiv sein würden. Der
26.Juni wurde später zum Gedenktag des Freiheitskampfes, und in der
Befreiungsbewegung galt er als Freiheitstag.
Zum ersten Mal hatte Nelson Mandela bei einer nationalen Kampagne eine
wichtigere Rolle gespielt und „verspürte jene Heiterkeit, die mit dem Erfolg einer
wohlgeplanten Schlacht gegen den Gegner einhergeht, und das Gefühl von
Kameradschaft, das der Kampf gegen furchterregende Gefahren auslöst.“
Doch Nelson Mandela erkannte auch, dass der Kampf ein allumfassender war und
„ein Mann, der in den Kampf verwickelt war, ein Mann ohne häusliches Leben war“.
Genau am Tag des Protests wurde sein zweiter Sohn (Makgatho Lewanika) geboren.
Nelson Mandela war zwar im Krankenhaus, als sein Sohn zur Welt kam, doch das
war nur eine kurze Unterbrechung seiner Aktivitäten.
1950 verabschiedete die National Party zwei weitere Gesetze, die die Grundpfeiler
der Apartheid darstellten: der „Populatin und Registration Act“ und der „Group
Areas-Act“. Das erstere Gesetz ermöglichte der Regierung, alle Südafrikaner offiziell
nach Rassenzugehörigkeit zu klassifizieren. Das zweite Gesetz war die Grundlage der
Apartheid hinsichtlich der Wohnung. Inder konnten nur noch in inidschen Vierteln
leben, Afrikaner in afrikanischen, Farbige in farbigen.
1951 führte der ANC zum ersten Mal eine „nationale Kampagne zivilen
Ungehorsams“ an. Ausgewählte Freiwillige sollten absichtlich Gefängnishaft
riskieren, indem sie gegen bestimmte Gesetze verstießen.
Nelson Mandela wurde zum nationalen Freiwllligen-Leiter der Kampagne und zum
Vorsitzenden sowohl des Aktionskomitees wie auch des Freiwilligenausschusses
ernannt. Seine Aufgabe bestand darin, die Kampagne zu organisieren, regionale
Bezirksstellen zu koordinieren, Freiwillige anzuwerben und Geldmittel aufzutreiben.
Vor Beginn der Mißachtungskampagne wurde am 22. Juni in Durban eine
Demonstration abgehalten, genannt „Day oft ehe Volunteers“ („Tag der Frei-
willigen“). Nelson Mandela war einer der Hauptredner: „Ungefähr 10.000 Menschen
hatten sich versammelt, und ich erklärte der Menge, die Mißachtungskampagne
werde die machtvollste Aktion sein, die von den unterdrückten Massen in Südafrika
je unternommen worden sei.”
Die Kampagne begann in den frühen Morgenstundne von Port Elizabeth, wo 33
Widerständler unter der Leitung von Raymond Mhlaba durch den „Nur-für-Weiße“-
Eingang einen Bahnhof betraten und anschließend festgenommen wurden. Unter
den Anfeuerungsrufen von Freunden und Familienangehörigen sangen sie Freiheits-
lieder beim Marsch durch den Eingang. Die Widerständler und die Menge riefen
abwechselnd: „Mayibuye Afrika!“ („Lasst Afrika zurückkehren!“) (Mandela*, S.184)
Die Kampagne wurde zu einem großen Erfolg. „Überall im Land beteiligten sich am
26. Juni Menschen mit Mut, Enthusiasmus und Sinn für Geschichte an der
Mißachtung von Gesetzen: „An jenem ersten Tag der Mißachtungskampagne
verstießen im ganzen Land über 250 Freiwillige gegen verschiedene ungerechte
Gesetze und wurden ins Gefängnis geworfen. Es war ein verheißungsvoller
Anfang. Unsere Truppen waren wohlgeordnet, diszipliniert und voller Zuversicht“
(Mandela*, S.184)
Tausende Menschen gingen freiwillig ins Gefängnis – und auch Nelson Mandela
wurde an diesem Tag zum ersten Mal verhaftet, siehe Details ...
Die Kampagne erreichte eine enorme Publizität und die Mitgliederzahl des ANC stieg
in dieser Zeit von gut 20.000 schnell auf 100.000.