„Während der nächsten fünf Monate nahmen im ganzen Land rund 8500 Menschen
an der Kampagne teil. Unter ihnen waren Ärzte, Fabrikarbeiter, Rechtsanwälte,
Lehrer, Studenten, Geistliche. Sie sangen: „He, Malan! Öffne die Gefängnistore. Wir
wollen hinein.“
Die Kampagne breitete sich über den Witwatersrand, Durban bis nach Port
Elizabeth, East London und Kapstadt und zu den kleineren Städten im östlichen und
westlichen Kap aus. Sogar in den ländlichen Gegenden begann sich Widerstand zu
regen. Zum größten Teil waren die Gesetzesverstöße geringfügig, und die Strafen
reichten von nicht mehr als ein paar Nächten im Gefängnis bis zu ein oder zwei
Monaten Haft ersatzweise einer Geldstrafe, die selten zehn Pfund überstieg.“
(Mandela*, S.184ff.)
Auch Nelson Mandela wurde am Abend des 26. Juni verhaftet:
„Noch am selben Abend nahmen die Leiter des Aktionskomitees, darunter Oliver
Tambo, Yusuf Cachalia und ich, an einem Treffen in der Stadt teil, um die Ereignisse
des Tages zu erörtern und für die kommende Woche zu planen. Wir trafen uns
unweit des Stadtteils, wo die zweite Gruppe von Widerständlern, angeführt von Flag
Boshielo, dem Vorsitzenden der zentralen Sektion des ANC, ihre Verhaftung
provozierten. Sie marschierten kurz nach elf Uhr gemeinsam durch die Straßen. Um
diese Zeit trat die Sperrstunde in Kraft, und Afrikaner brauchten eine Erlaubnis, um
sich noch draußen aufzuhalten.
Wir beendeten unsere Versammlung um Mitternacht. Ich fühlte mich erschöpft und
dachte nicht an Widerstand, sondern an eine warme Mahlzeit und wohlverdiente
Ruhe. In diesem Augenblick traten Polizisten auf Yusuf und mich zu. Es war
offenkundig, dass wir beide auf dem Heimweg und nicht beim Protestmarsch waren.
„Nein, Mandela“, rief einer Polizisten. „Sie können nicht abhauen.“ Mit seinem
Schlagstock wies er auf einen in der Nähe geparkten Polizeitransporter: „Einsteigen!“
Am liebsten hätte ich ihm erklärt, dass ich die Kampagne im Augenblick gar nicht
leitete und entsprechend unseren Planungen erst viel später demonstrieren und
mich verhaften lassen sollte, aber natürlich wäre das lächerlich gewesen. Ich
beobachtete, wie er zu Yusuf ging, um diesen festzunehmen, und Yusuf quittierte die
Ironie der Situation mit lautem Gelächter. Es war schön anzuschauen, wie er grinste,
als der Polizist ihn abführte.
Augenblicke später befanden Yusuf und ich uns inmitten von gut 50 unserer von Flag
Boshielo geführten Freiwilligen, die in Transportern zu der aus roten Ziegeln
erbauten Polizeistation gebracht wurden, die den Namen Marshall Square trug. Als
Mitglieder des Aktionskomitees machten wir uns Sorgen, dass die anderen sich über
unserer Abwesenheit wundern und sich fragen könnten, wer die Kampagne
organisieren sollte. Aber es herrschte eine gute Stimmung. Schon auf der Fahrt zum
Gefängnis hallten die Transporter wider von den lauten Stimmen der Widerständler,
die „Nkosi Sikedel’iAfrika“ („Gott segne Afrika“) sangen, die wunderschöne
afrikanische Nationalhymne.
Als wir in dieser Nacht in den Gefängnishof gedrängt wurden, stieß ein weißer
Wärter einen von uns so heftig an, dass er einige Stufen hinunterstürzte und sich
einen Fußknöchel brach.
Ich beschwerte mich bei dem Wärter über sein Verhalten, und seine Reaktion war
ein Tritt gegen mein Schienbein. Ich verlangte, dass der Verletzte sofort ärztlich
behandelt werde, und wir begannen eine kleine, aber laute Demonstration. Man
teilte uns jedoch nur knapp mit, der Verletzte könnte am folgenden Tag einen Arzt
verlangen, falls er es wünsche. In der Nacht hörten wir, wie sehr er litt.
Bis dahin hatte ich immer nur sehr kurze Zeit im Gefängnis zugebracht, und dies war
meine erste intensive Erfahrung. Marshall Square war schmutzig, düster und
verwahrlost, aber wir waren alle zusammen und so von hochgemuten Gefühlen
erfüllt, dass ich meine Umgebung kaum wahrnahm. Die Kameradschaft unserer
Mitstreiter ließ die zwei Tage schnell vergehen.” (Mandela*, S.183 ff.)