© AFP Heiligsprechung im Doppelpack: Einladungen für die Zeremonie in Rom
In diesen Tagen vor der Heiligsprechung von Johannes XXIII. und Johannes
Paul II. wird deutlich, dass nicht die Institution Kirche ihre Heiligen schafft,
auch wenn Papst Franziskus am Sonntag das letzte Wort bei der Kanonisierung
dieser beiden Päpste spricht. Viele Millionen religiöser Katholiken in aller
Welt fiebern dem „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“ entgegen. In Italien
rollen vor allem aus seiner lombardischen Heimat bei Bergamo, wo Angelo
Giuseppe Roncalli 1881 geboren wurde, und aus Venedig, wo er vor seiner
Inthronisierung fünf Jahre lang Patriarch war, Sonderzüge und unzählige Busse
an; und fast eine Million Polen machen sich für den 1920 in Wadowice in den
kleinen Beskiden geborenen Johannes Paul II. auf den Weg nach Rom. Italiens
Hauptstadt rechnet an diesem Sonntag mit etwa zwei Millionen Pilgern.
„Polnische Papstfestspiele“
Selbst wenn es Papst Franziskus gewollt hätte, unter dem Druck der Massen
hätte er die Heiligsprechung von Johannes Paul II. bestenfalls verschieben,
aber nicht verhindern können. Doch es war seine Initiative, mit ihm zusammen
auch Johannes XXIII. heilig zu sprechen. In der Kurie sagen viele, Franziskus
habe die Kirche nicht für „polnische Papstfestspiele“ hergeben wollen.
Unvergessen sind bis heute die Rufe der vielen hunderttausend Pilger bei der
Trauerfeier für Karol Józef Wojtyla am 8. April 2005. Mit dem Blick auf den
Holzsarg forderten sie, Johannes Paul II. sofort heilig zu sprechen: „subito
santo“. Die gesamte Welt konnte das am Fernseher miterleben. Vergessen aber
ist wohl, dass es bald ein halbes Jahrhundert zuvor ähnlich war. Aber da stand
noch der Eiserne Vorhang, Reisen fielen schwerer, es gab weniger Fernseher,
und die Welt war noch nicht so vernetzt, als Angelo Giuseppe Roncalli am 4.
Juni 1963 in vollem Ornat und der Tiara auf dem Haupt vor einer ebenso
unüberschaubar großen Masse vor St. Peter aufgebahrt lag. Sie hegte denselben
Wunsch wie Jahrzehnte später die Trauer-gemeinde für Johannes Paul II.
Nicht nur die Teilnehmer an dem von ihm einberufenen Zweiten
Vatikanischen Konzil forderten die unverzügliche Heiligsprechung von
Johannes XXIII. per Akklamation; der Ruf kam aus Gefängnissen und
Krankenhäusern, die der Papst besucht hatte. Dass selbst sowjetische Schiffe
im Hafen von Genua Halbmast flaggten, zeigte nicht nur, dass Moskau dem
Kirchendiplomaten mit seiner Vermittlung zwischen dem katholischen
Präsidenten John F. Kennedy und dem sowjetischen Parteichef Nikita
Chruschtschow bei der Kubakrise 1962 danken wollte. Johannes XXIII. wurde
als „Patron der christlichen Einheit“ gefeiert, nachdem er 1960 in seiner
Aufgeschlossenheit für die Ökumene das „Sekretariat für die Einheit der
Christen“ gegründet hatte, um den Dialog mit anderen Christen zu
institutionali-sieren und zu intensivieren, so mit den orthodoxen Christen von
Moskau „im Ostblock“ bis hin nach Istanbul und Jerusalem sowie mit den
evangelischen Christen.
Der Druck aus Polen war groß
Ohne diese von den Menschen ausgehende „fama di santità“, ohne den Ruf,
Gott nah zu sein und von seiner Heiligkeit und seinen Wundern zeugen zu
können, dürfe kein Prozess zur Seligsprechung und Kanonisierung beginnen,
sagte vor Jahren der damalige Präfekt der Kongregation für Selig- und
Heiligsprechungen, José Kardinal Saraiva Martins. Zunächst müssten die
Geistlichen in der Heimatdiözese sehen, dass der Verehrungswürdige bei den
Gläubigen eine „wahre und verbreitete“ und keineswegs künstliche „fama di
santità“ genieße. Und eigentlich darf der Prozess der Seligsprechung erst fünf
Jahre nach dem Tode beginnen, wenn klar geworden ist, dass dieser Ruf auch
anhält. „Von sich aus beginnt die Kirche kein Verfahren zur Seligsprechung“,
sagte jetzt Vatikansprecher Pater Federico Lombardi: Eine Pfarrei oder ein
Orden müssten zunächst den Heimatbischof bitten, so einen Prozess
einzuleiten, und der brauche die Genehmigung des Heiligen Stuhles. Groß war
der Druck aus Polen auf Benedikt XVI.; und der gab schon Wochen nach dem
Tode von Johannes Paul II. nach und ließ den Prozess beginnen.
In dem Verfahren trägt zunächst ein Postulator der Heimatdiözese die Akten
des „Diener Gottes“ zusammen und verteidigt ihn gegen einen „Justizpro-
motor“, der Hindernisse einer Seligsprechung aufzudecken hat. Das ist ein
aufwendiges Sammeln von Dokumenten und Zeugenaussagen über den
Lebenswandel und die sieben Tugenden eines Kandidaten, den theologischen -
Glaube, Hoffnung und Liebe - und den „Kardinaltugenden“: Weisheit,
Gerechtigkeit, Mäßigung und Stärke. Die Kirche verlange von einem Heiligen
den „heroischen Tugendgrad“, die „außerordentliche, herausragende
Tugendhaftigkeit“, wie sich Lombardi ausdrückte.
In Rom muss dann der Postulator in der zweiten Phase den „Diener Gottes“ in
einer Theologenkommission der Kongregation für die Selig- und
Heiligsprechungen gegenüber einem Glaubenspromotor der Kurie verteidigen.
Schließlich präsentiert der Präfekt der Kongregation den abgeschlossenen
Prozess dem Papst.
Ohne ein Wunder geht nichts
Das ist der menschliche Anteil am Verfahren. Um die göttliche Nähe des „Zeugen
göttlicher Heiligkeit“ zu beweisen, muss der Postulator auch belegen, dass Gott auf
Fürsprache des Verehrungswürdigen mit Wundern half. Gott ist mithin selbst
gefragt.
In der Regel müsse nachgewiesen werden, sagte Lombardi, dass nach dem Tode
eines Heiligen ein Kranker „medizinisch unerklärbar geheilt wurde“, weil er
den Heiligen um Fürsprache bei Gott gebeten hatte.
Dieser Nachweis ist das selbständige Verfahren einer Ärztekommission bei der
Kongregation für Heiligsprechungen. So stellten diese Ärzte zum Beispiel fest, dass
Floribeth Mora Diaz aus Costa Rica auf medizinisch unerklärliche Weise von einem
Aneurysma im Gehirn geheilt wurde, als sie am Tag der Seligsprechung von
Johannes Paul II. um seine Fürsprache bei Gott betete, siehe ...
Bei Johannes XXIII. eröffnete Papst Paul VI. 1970 den Seligsprechungsprozess.
Im September 2000 wurde Roncalli dann von Johannes Paul II. seliggesprochen,
zusammen mit Pius IX., der 1869 das erste Vatikanische Konzil ausgerufen hatte und
durch die Propagierung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats und der päpstlichen
Unfehlbarkeit bekannt wurde.
Dann geschah ein gutes Jahrzehnt nichts, bis Papst Franziskus zum 5. Juli 2013 ein
Konsistorium seiner Kardinäle einberief, um nicht nur Johannes Paul II. „zur Ehre
der Altäre zu erheben“ sondern auch Johannes XXIII.; das war zwei Tage, nachdem
die Kongregation für die Heiligsprechung das übliche zweite Wunder auf Für-
sprache von Johannes Paul II. anerkannt hatte.
Der Zeitplan für die Heiligsprechung des polnischen Papstes war dem Vernehmen
nach schon durch Benedikt XVI. vorgegeben worden; aber es fehlte für Johannes
XXIII. noch ein Wunder. Da kürzte Franziskus das Verfahren ab, „ohne auf die
Feststellung eines zweiten Wunders zu warten“, wie Lombardi sagte. Es gäbe viele;
nur sei darauf verzichtet worden, die Ärztekommission darüber entscheiden zu
lassen.
Autor: Jörg Bremer, Jahrgang 1952, politischer Korrespondent
für Italien und den Vatikan mit Sitz in Rom.