“Die Utopie dieser jungen Generation sowjetischer Menschen hieß Geld.
Der Wertewechsel vollzog sich im Handumdrehen, bei manchen binnen
eines Monats, andere brauchten dafür kaum einen Tag oder eine Stunde.
Plötzlich zeigte sich, dass die früheren Ideale für immer abgeschafft
waren, dass es sie eigentlich nie gegeben und niemand an sie geglaubt
hatte.
Die neuen Träume lagen auf der Straße. Man brauchte sich nur zu
bücken. Man musste sich etwas einfallen lassen und es durchsetzen. Den
Rausch des schnellen Geldes, das aus dem Nichts kam - von einem
Marktstand oder aus einem gemieteten Keller - , erlebten damals viele.
Die Aussichten waren schwindelerregend. Geld zu verdienen wurde zur
Sucht. Geld zu machen und es mit vollen Händen auszugeben, schuf ein
unbekanntes Glücksgefühl. In einem Land, das bisher offiziell eine
asketische Lebensweise gepredigt hatte, brachen jetzt alle Dämme, die
die Leute bisher an einer menschenwürdigen Existenz gehindert hatten -
ein in jeder Hinsicht anomaler Vorgang. Zusammen mit der Gleichheit in
der Armut platzte auch die dazuge-hörige Ideologie wie eine Seifenblase.
Keine Summe war jetzt hoch genug. Man dachte nur noch in runden
Beträgen.”
Quelle: Dmitri Popov/Ilia Milstein, “Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie”,
2012 Redline Verlag, S.54ff.