In seiner Autobiographie „Unterm Smoking Gänsehaut“ (erschienen 1994) zeigt
Udo Jürgens, dass er nicht nur ein genialer Künstler, sondern auch ein tief-
gründiger Denker war.
So entwarf er in diesem Buch unter der Überschrift „Visionen oder die Philosophie
des Quintenzirkels“ die Vision einer idealen Regierungsform, einer „idealen
Demokratie“, die auf Grundlage der Musik und ihren Gesetzmäßigkeiten aufgebaut
ist. Eine Vision, die durchaus Beachtung verdient und heute, wo die demokrati-
schen Prinzipien immer mehr ausgehöhlt werden, aktueller ist denn.
Hier nun die Vision von Udo Jürgens über die ideale Regierungsform. Als
Einleitung schreibt er dazu:
„Zu allen Zeiten haben die Menschen unter verschiedenen Gesellschaftsformen
gelebt und wohl meistens auch darunter gelitten.
Es ist naheliegend, dass in allen Epochen die Menschen, Philosophen, Visionisten,
Künstler, Schriftsteller, am wenigsten die jeweiligen Machthaber, immer leise und
laut über Gesellschaftsformen nachgedacht haben, unter denen man leben könnte,
ungeachtet der Realität der gerade gegenwärtigen Gesellschaftsform (….)
Es gibt bis heute keine einzige Gesellschaftsform, die in irgendeinem Land auf
Dauer bestanden hätte. Jede ist nach einer gewissen Zeit immer von einer anderen
abgelöst worden. Von aller Art Königen, Kaisern, Potentaten und Diktatoren haben
die Menschen viel über sich ergehen lassen müssen, bis man irgendwann die
Gesellschaftsform fand, die wir heute als ideal empfinden: die Demokratie – die
größte Errungenschaft menschlichen Geistes für das Zusammenleben der
Menschen.
Aber auch heute gibt es nicht wenige ernsthafte Philosophen – die sich „neue
Konservative“ nennen und seltsamerweise sowohl vom rechten als auch vom
linken Tellerrand stammen - , die warnend ihre Stimme erheben und der
Demokratie gar ein Ende prophezeien.
Die Probleme der Demokratie, wie sie sich heute darstellt, sind einfach:
Zunächst ist es die Mehrheit. Die Gruppen, die sich in ihr zusammenschließen,
regiert ein Land. Das bedeutet: eine große Anzahl Menschen, häufig fast die Hälfte
des Volkes, ist mit der herrschenden Regierungsform nicht einverstanden, lebt
sozusagen in der Opposition.
Und das Bedenkliche ist: Die „Mehrheit“ kann, aber muss nicht immer recht
haben. – Es gibt durchaus Wahlen, die sich später in der Geschichte als falsch
erwiesen haben: Dabei denke ich nicht nur an Adolf Hitlers Weg an die Macht.
Der Satz „Volkes Stimme ist Gottes Stimme“ ist also mit einer gewissen Vorsicht
zu genießen.
Einer der größten Freinde der Demokratie ist außerdem der falsche, besser: der
fahrlässige Umgang mit der Freiheit.
Laut Lexikon besteht die Freiheit in Unabhängigkeit von Knechtschaft und Zwang,
ist das Merkmal des Selbstbewußtseins sowie der Persönlichkeit und
Menschenwürde.
Doch gründet sich heute Freiheit nicht fast ausschließlich auf die Freiheit des
Privateigentums und seiner Nutzung? Reduziert sich Freiheit heute nicht darauf,
etwas zu konsumieren, etwas zu begehren? Und  zwar sofort, ohne Warteschlange,
ohne Zeitverlust: Her mit dem Ding, mit dem Menschen, der Ware, dem Ereignis –
dann auspressen und auf den Müll werfen. Freiheit als Wegwerfartikel erzeugt
Frustration und sinnentleertes Dasein!
Die Freiheit, die wir brauchen, ist die Freiheit des Ungehorsams. Freiheit
bedeutet den Mut zu haben, allein zu sein, zu irren und auch vom ausgetretenen
Weg Abschied zu nehmen. „Wenn ich“, so schreibt beispielsweise Erich Fromm,
der große Psycho-Philosoph, „wenn ich vor der Freiheit Angst habe, kann ich nicht
wagen, nein zu sagen, kann ich nicht den Mut aufbringen, ungehorsam zu sein.
Tatsächlich sind Freiheit und die Fähigkeit zum Ungehorsam nicht voneinander zu
trennen. Daher kann auch kein gesellschaftspolitisches, politisches oder religiöses
System, das Freiheit proklamiert und Ungehorsam verteufelt, die Wahrheit
sprechen.“ (…)
Von allen bis heute praktizierten Gesellschaftsformen ist natürlich die Demokratie
die einzige, die unserer Vorstellung von Menschlichkeit und Humanität, unserer
Vision von Recht und Gerechtigkeit nahekommt, und ein gütiges Schicksal möge
uns davor bewahren, dass sie uns abhanden kommt. Aber nachdenken über „Was
kommt danach, wenn’s danebengeht“, wird es, solange es intelligente, phantasie-
reiche, visionäre Menschen gibt, immer geben.
Gesellschaftsformen zerbrechen dann, wenn auch nur einer ihrer Kern- und
Grundsätze einen Fehler aufweist.
Die Kern- und Grundsätze der faschistoiden Regierungsformen sind alle falsch.
Wenn wir nur an die wahnwitzigen Behauptungen denken, die das Hitlerregime
über Ethik, Gesellschaft, Menschenrechte, Rassen ausgesprochen hat ….  Diese
Thesen sind natürlich alle unmenschlich. Dieses Tausendjährige Reicht hat gerade
mal zwölf Jahre überlebt.
Der Kommunismus ist nicht nur deshalb zugrunde gegangen, weil man ihn
mißverstanden hat, weil es Stalin und andere Greuelpotentanten gab, weil man
faschistische Methoden angewandt hat. Er ist eigentlich im Kernsatz gescheitert,
der eine Grundlehre gewesen ist: „Es gibt keine Freiheit für den Einzelnen,
sondern nur die Freiheit des Menschen als Gattungswesen. Denn der Mensch ist
das Produkt seiner Umgebung.“ Daraus leiteten die kommunistischen Führer ihr
Recht ab, die Menschen in ein Zwangssystem zu stecken, um sie nach ihrem
„Ideal“ zu formen. Mit der Erkenntnis, dass eben die Menschen nicht alle gleich zu
machen sind, war dem „sozialistischen Gedanken“ der ideologische Boden
entzogen.
        
    Philosphie des Quintenzirkels oder die „Harmonie zwischen den Tönen“
                                als Vorbild für eine ideale Gesellschaft
Wo liegen nun die eventuellen Parallelen zwischen „Einklang der Gesellschaft“
und „Harmonie zwischen den Tönen“?   -  Ganz einfach: Nichts auf der Welt wird
so bedingungslos akzeptiert wie Musik in allen ihren Erscheinungsformen. Nicht
Malerei, nicht Literatur, nicht Politik, ja nicht einmal Sport. – Und was bringt den
Menschen die Musik so nahe? –
Ohne dass man es weiss: es ist der Quintenzirkel ....
Vision einer idealen Gesellschaft, einer „Mega-Demokratie“ auf Grundlage
von Herrschen und Dienen in vollendeter Gerechtigkeit auf Grundlage des
Quintenzirkels
Visionen sind natürlich erst einmal immer unreif. Daher ist es sicherlich Spinnerei,
wenn man diese Harmonie vielleicht als einen Ansatzpunkt heranzieht, um über
Gesellschaftsformen nachzudenken. Aber dieses Thema fasziniert mich seit Jahren.
Vielleicht werden Menschen in einer fernen Zukunft, sollte es eine solche dann
noch geben, eine gefestigtere Form der Demokratie ausprobieren, geleitet von den
Grundsätzen des  Quintenzirkels, der einer möglicherweise entstehenden Welt-
verantwortung die Grundorientierung geben könnte.
Vielleicht ist es denkbar, dass eine künftige Gesellschaft in vielen kleinen Zellen
oder Gruppen in vielen Regionen geordnet sein könnte, Gruppen, die je nach den 
jeweiligen Erfordernissen ihren individuellen Fähigkeiten gemäß herrschen oder
dienen, Entscheidungen fällen oder helfen, sie durchzuführen.
Machtverteilung mit Autorität und Demut. Herrschen und dienen in vollendeter
Gerechtigkeit und Flexibilität, Zusammenleben in Harmonie und Dissonanz, gleich
den Tönen. Die Gesellschaftsordnung von Menschen, die sich selbst, ihre Fähig-
keiten und Grenzen genau kennen;
Menschen in einem Zeitalter der Reife, in der die Individualität und
gesellschaftlicher Zusammenhalt gleichermaßen notwendig sind und vom
Einzelnen gefordert wird. Eine „Mega-Demokratie“ mit der Verantwortung für
eine wahrhaftige Freiheit, mit dem Sinn des Wortes, wie wir ihn alle fühlen, aber
bis heute so schwer leben können. Welch herrlich-verrückte Phantasterein!“
(Quelle: Udo Jürgens, “Unterm Smoking Gänsehaut”, 1994, Bertelsmann, S.283ff.)
Was Udo Jürgens damals wahrscheinlich nicht gewusst hat: es gab einen
bedeutenden Philosophen und Staatswissenschaftler, der diese Vision einer idealen
Demokratie und Gesellschaft ebenfalls vertrat - und damals schon lehrte: 
Leopold Kohr (1909  - 1994)
Leopold Kohr war Nationalökonom, Jurist, Staatswissenschaftler und Philosoph.
Er trat für eine Dezentralisierung sozialer Organisationen ein. Seiner Meinung
nach sollten Gruppen (Städte, Länder, Staaten, Gemeinden etc.) auf eine Größe
reduziert werden, in der Funktion noch möglich ist, aber gleichzeitig den
Mitgliedern eine Überschaubarkeit erlaubt.
„Alles ist Gift. Ausschlaggebend ist nur die Dosis.“ – Dieser von Kohr oft zitierte
Spruch von Paracelsus (bekannt als dosis facit venenum) ist grundlegend für seine
Philosophie der Größe“. 
„Die Größe – Kohr meint nicht die absolute, sondern die relative, die zu große
Größe – [...] scheint das zentrale Problem der Schöpfung zu sein. Wo immer
etwas fehlerhaft ist, ist es zu groß. [...] Die Größe – und nur die Größe! – ist das
zentrale Problem der menschlichen Existenz, im sozialen und im physischen
Sinn“ (Das Ende der Großen, Einleitung). Folglich gibt es für Kohr auch nur eine
Rettung: „[...] die Idee und das Ideal der Kleinheit als einziges Serum gegen die
krebsartige Wucherung der Übergröße [...]“ (a.a.O.).
Darüber hinaus prägte Kohr in seiner Geschwindigkeitstheorie den Slogan „slow is
beautiful“, weil in der Langsamkeit auch die Massenwirkung abnimmt. Während
die Straßen einer Stadt zu normalen Tageszeiten völlig ausreichen, steht in den
Stoßzeiten der Verkehr; während die Theater- und Kinoausgänge am Ende der
Vorstellung völlig ausreichen, sind sie im Falle einer Panik zu eng.
Leopold Kohrs Philosophie betont die Würde und Vernunft des Individuums,
befähigt, kreativ zu sein und seinen Willen zu gestalten. Eine Masse aus
Individuen aber zerstört die Freiheit und verhält sich nicht wie vernünftige Wesen,
sondern wie leblose Teilchen, die statistischen Gesetzen gehorchen. Begibt sich
der freie Mensch in die Masse, degeneriert er vom Kulturwesen zum Teil einer
physikalischen Gesetzen unterliegenden Einheit.
Der mit Leopold Kohr befreundete Salzburger Philosoph Günther Witzany
vertritt die These, dass sich Kohrs Philosophie idealerweise mit den soziologischen
Analysen von Elias Canetti (Masse und Macht) und Lewis Mumfords 
Technikphilosophie (Mythos der Maschine) ergänzt.
Elias Canetti verdeutlicht akribisch das Verhältnis von Menschenmassen zu ihren
Führern und das oft vernunftwidrige Verhalten von Massen, während Lewis
Mumford auf einzigartige Weise die Entmenschlichung in zentralistisch
organisierten und technokratisch regulierten Gesellschaften thematisiert ....
(Quelle: Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Dort gibt es weitere Quellenangaben)
 
Die ideale Demokratie oder die
Philosophie des “Quintenzirkels”