“Welche Auswirkungen die rigorose „Sparpolitik“ hat, die den verschuldeten
südlichen EU-Ländern seitens der sogenannten Troika auferlegt wird, kann
man gut am Beispiel von Portugal, Spanien und Griechenland erkennen.
Jürgen Roth schreibt dazu: „Hinter vorgehaltener Hand erzählte mir eine
ehemalige Repräsentantin der Europäischen Kommission in Lissabon, dass
das Programm der Troika eigentlich nur das ist, was die konservative portu-
giesische Regierung selbst lange gefordert hatte, politisch jedoch nicht durch-
setzen konnte: radikaler Sozialabbau und die Einschränkung von Arbeit-
nehmerrechten.
Der Gewerkschafter Ulisses Garrido meint dazu: „Ist das, was uns darge-
boten wird, wirklich ein Programm der Troika? Nein, es ist ein Programm
der rechten Parteien und der Unternehmer in Portugal. Als die Troika zum
ersten Mal nach Lissabon kam, hatte sie bereits einen sehr konkreten Plan
mit klaren Entscheidungen und klaren Maßnahmen. Wie ist es möglich, dass
die EZB, die EU und der IWF innerhalb von zwei Wochen einen so konkre-
ten Plan ausarbeiten konnten? Die Schlüsselperson, die damals für die Ver-
handlungen mit der Troika aus Brüssel verantwortlich war, ist Eduardo
Catroga.“
Der Ex-Finanzminister und Manager war im Jahr 2011 die rechte Hand von
Pedro Passos Coelho, dem bei den Wahlen im Juni 2011 seigreichen Vorsitz-
enden der konservativen Partido Social Democrata (PSD). Die bislang regier-
ende Sozialistin der Partido Socialista (PS) hatten im großem Umfang Stim-
men verloren. Pedro Passos Coelhos PSD übernahm daraufhin, zusammen
mit der rechts-konservativen Centro Democratico e Social – Partido Popular
(CDS/PP), die Regierungsverantwortung.
Eduardo Catroga war nun zuständig für die Verhandlungen mit der Troika.
„Er übergab der Troika alle Vorschläge, die die konservativen und rechten
Parteien in der Vergangenheit in Portugal nicht durchsetzen konnten“, so
Ulisses Garrido. Gegenüber den Bürgern habe die Regierung versprochen,
die radikalen Auflagen abzulehnen. „Doch Sie werden feststellen, dass die
Vorschläge der konservativen Parteien aus der Vergangenheit nun fast
ausnahmslos in den Bestimmungen der Troika enthalten sind. Das war ihr
Sieg.“ (...)
Seit Anfang 2013 ist Eduardo Catroga Vorstandschef des mächtigen Energie-
konzerns EDP. Das einst staatliche Unternehmen wurde zur Sanierung des
Staatshaushalts (eine der zentralen Bedingungen der Troika zur Auszahlung
von Finanzhilfen) im Jahr 2011 privatisiert und an ein chinesisches Unter-
nehmen verkauft. Catrogas Jahresgehalt dort beträgt nach portugiesischen
Medienberichten 639.000 Euro. Beteiligt ist er zudem an weiteren Unter-
nehmen mit Tochterfirmen in Brüssel und Madrid. Das führt zu der großen
Frage, wem die wichtigsten Männer der Troika tatsächlich dienen.“ (S.28ff.)
In Spanien hat sich inzwischen ein eigener Begriff für diese Zwangsmaß-
nahmen der Troika gebildet: „Troiked“. Was sind die Folgen dieser unbarm-
herzigen „Sparpolitik“ und Verscherbelung von Staatseigentum ?
Die Troika zerstört Schulen, Krankenhäuser und Kultur; sie erhöht die Zahl
der Arbeitslosen, sie steigert Verzweiflung und zwingt die Menschen zur
Auswanderung, um zu überleben.
Jürgen Roth beschreibt ein Beispiel dieser unmenschlichen Sparpolitik, die
die Schwächsten der Gesellschaft trifft: „Carla Prino ist 28 Jahre alt, Juris-
tin, und weiß inzwischen ziemlich genau, was Troiked für ihre Generation
bedeutet. Eine Generation, deren Lebensgefühl von der prominenten Musik-
band Deolinda in einem Lied beschrieben wird: „Was für eine bescheuerte
Welt. Wo man, um Sklave zu sein, studiert haben muss.“
Carla Prino hat im Gegensatz zu Hunderttausenden junger Portugiesen
Glück gehabt und nach langen Suchen einen Arbeitsplatz ergattert. Wo, will
sie nicht sagen aus Angst, gefeuert zu werden. Denn die bestehenden Arbeits-
schutzrechte wurden in Portugal inzwischen ausgehöhlt. Prinos Vertrag ist
auf ein Jahr begrenzt ohne die Möglichkeit, danach weiterbeschäftig zu wer-
den. Sie wird dann arbeitslos sein ohne Arbeitslosenhilfe, ohne Krankenver-
sicherung.
Und sie schildert, wie es vielen Arbeitnehmern inzwischen in Portugal ergeht:
„Die meisten meiner Freunde haben einen Arbeitsvertrag für sechs Monate
oder höchstens ein Jahr. Und meine Wohnung gehört der Bank. Wenn ich die
Raten nicht mehr zahlen kann, fliege ich raus. So geht es allen hier.“
Viele müssen daher eine schein-selbständige Arbeit aufnehmen, dürften die
Freiheit des Unternehmertums erleben. Dafür müssen sie Sozialversicher-
ungsbeiträge für Selbständige zahlen, und die wurden, auf Druck der Troika,
auf 30,7 Prozent erhöht. Wer, was realistisch ist, gerade mal 500 Euro im
Monat verdient, zahlt alleine 153,50 Euro in die Sozialversicherung ein.
Weitere Maßnahmen und Auswirkungen der Sparpolitik der „Troika“:
Im September 2013 beschloss die Regierung 13.000 Lehrer zu entlassen und
die Klassenstärke auf mindestens 40 Schüler zu erhöhen. Schon jetzt haben
viele Schüler in ländlichen Regionen überhaupt keine Lehrer mehr.
Außerdem kam es zu blinden Einsparungen in allen öffentlichen sozialen
Bereichen. Gehälter wurden gekürzt und gleichzeitig gab es eine kräftige
Steigerung der Steuern auf ein historisches Hoch. So wurden Tausende von
Unternehmen in den Bankrott getrieben.
In einem Aufruf haben über 100 portugiesische und europäische Gewerk-
schafter und Intellektuelle beschrieben, wie Portugal nach der Durchsetzung
der Troikabedingungen aussehen wird: „Am Ende der Troikaintervention
wird Portugal eine größere Öffentliche Verschuldung haben und wird noch
ärmer sein. In der Zwischenzeit hinterlässt die durchgesetzte Politik eine
Spur der Zerstörung und des soziale Rückschritts: Öffentliche Dienstleist-
ungen werden abgebaut, der öffentliche produktive Sektor wird auf null
reduziert, massive Arbeitslosigkeit, geringe Löhne und die Insolvenz von
Familien.
Wie weit die Forderungen des internationalen Finanzkapitals, repräsentiert
durch die Troika, gehen, belegt ein Dokument des IWF, das der Regierung in
Lissabon überreicht wurde. Auf 80 Seiten ist dort festgehalten, welche Ein-
sparungen in Portugal gefordert werden.
Im Bildungssektor sollten 50.000 Lehrerstelen gestrichen werden, 30.000
Lehrer und weitere Mitarbeiter der Schulen sollten, so der IWF, im sogenan-
nten „regime de mobilidade especial“ immer dort flexibel eingesetzt werden,
so wie gerade gebraucht werden, statt einen festen Arbeitsplatz zu haben.
Der IWF fordert die Erweiterung des privaten Schulsystems und eine An-
hebung der Studiengebühren. In allen staatlichen Bereichen will der IWF
„zehn bis zwanzig von hundert“ Beamten nach Hause schicken und die
Bezüge der Verbleibenden um bis zu 7 Prozent kürzen. So sollen in Portugals
öffentlichem Dienst 3,46 Milliarden Euro an Personalkosten eingespart wer-
den. Weitere 450 Millionen könne die Verlängerung der Schulstunden auf 60
Minuten und die Erhöhung der Wochenarbeitszeit der Lehrer erbringen.
Im Gesundheitssystem solle sich der Staat „nicht weiter um exzessiven Kon-
sum von Gesundheitsleistungen kümmern“, sondern nur „die primäre Ver-
sorgung sichern“ – der IWF will mehr Kosten auf die Patienten übertragen
und Gebühren für Untersuchungen erhöhen. Über eine wachsende Belastung
von Wirtschaft und Sozialkassen durch mehr Arbeitslose und vorzeitige Pen-
sionierte schreibt der IWF, die Sozialleistungen seien „zu teuer und unge-
recht“; für junge Menschen sei die Arbeitslosenunterstützung „zu hoch und
für zu lange Zeit zugesichert“.
Als das Dokument bekannt wurde, hagelte es derart heftige Kritik, dass die
Regierung erst einmal in Deckung gehen musste. Aber das IWF-Programm
entsprach den Wünschen protugiesischer Unternehmer, die die Gelegenheit
nutzten, ihre Forderungen unter dem Deckmantel des IWF beziehungsweise
der Troika endlich umsetzen zu können. Zwar erklärte ein Regierungs-
sprecher, dass es sich lediglich um ein Arbeitspapier mit Vorschlägen handle
und die Regierung sich ihre Handlungsfeiheit nicht nehmen lassen werde.
Aber in dem Dokument stand auch, dass sich der IWF bei insgesamt zehn
Ministern und fünf Staatssekretären für ihre Mitwirkung bedankt habe. Ein
großer Teil der Maßnahmen wurden inzwischen umgesetzt. … (S.31ff.)