Julias erste Arbeitsstelle in der nach Lenin benannten Maschinenfabrik
von Dnipropetrowsk war auch für sowjetische Begriffe ein großes
Unternehmen: 8000 Arbeiter und Angestellte, die in 600 Brigaden
organisiert waren. Wie die meisten Betriebe von Dnipropetrowsk gehörte
sie zur Rüstungsindustrie. Dort wurden einzigartige Funkmessgeräte
gefertigt. Auch dieser geheime Betrieb hatte seine Legende, die sein
Profil nach außen tarnen sollte. Auf neugierige Fragen hatte Julia wie
alle Beschäftigten zu antworten, ihr Betrieb stelle Kühlschränke der
Marke Dnepr her.
Sie begann als Ingenieurin in der Abteilung “Arbeitsorganisation und
Löhne” zu arbeiten. Das war die Gelegenheit, ihre Ideen der Studienzeit
vom kapitalis-tischen Markt in die sozialistische Produktion
einzubringen.
Der Kapitalismus in erlaubten Dosen hieß hier “Brigadeauftrag”.
Sensationell war diese Methode deshalb, weil sie vom gesunden
Menschenverstand ausging. Das System von Verträgen, wonach eine
Brigade nach dem Endergebnis ihrer Arbeit entlohnt wurde, brachte
allen etwas - den Arbeitern, die nun Prämien erhielten, der
Unternehmensführung, deren Aufträge pünktlich oder sogar vorfristig
erfüllt wurden, und natürlich den Verbrauchern.
Noch 20 Jahre später schwärmt ein ehemaliger Kollege von der jungen
Ingenieurin: “Julia beeindruckte alle sofort”, erinnerte er sich. “Sie war
schmal, zart und schön. Große Augen und ein kluges Gesicht. Ich
erinnere mich bis heute, wie sie in einem Rock mit Rüschen und
aufgenähtem Täschchen bei uns auftauchte ...”
Aber sie beeindruckte nicht nur durch ihr Äußeres. “Julia Timoschenko
führte uns in das Prinzip der Arbeitsorganisation nach Brigaden ein.
Wenn sie sprach, hingen alle an ihren Lippen. Sie formulierte glasklar
und wusste genau, wovon sie sprach. Uns allen blieb der Mund offen
stehen. Ein echter Gewinn für den Betrieb!”
Quelle: Dmitri Popov/Ilia Milstein, “Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie”,
            2012 Redline Verlag, S.43 ff.