Gefährlicher Scheideweg und militärische Eskalation: Droht in
Syrien eine russisch-amerikanische Konfrontation?
Prof. Michel Chossudovsky
Am 14. Dezember unterzeichnete der amerikanische Verteidigungsminister
Leon Panetta den Befehl, 400 Soldaten der US-Raketenstreitkräfte als
Bedienungsmannschaften in die Türkei zu entsenden.
Als Grund gab Washington an, die Sicherheit des wichtigen NATO-Mitglieds Türkei sei
gefährdet. Die amerikanischen Soldaten sollen in der Türkei in den kommenden Wochen zwei
Patriot-Flugabwehrraketensysteme bedienen. Der Sprecher des Pentagon, George Little, sagte
dazu:
»Die USA haben die Türkei bei ihren Bemühungen, sich gegen Syrien zu verteidigen,
unterstützt… Ich werde jetzt nicht auf die genauen Örtlichkeiten im Einzelnen eingehen, aber ich
möchte Sie … wissen lassen, dieser Befehl wurde unterzeichnet, und wir sind darauf
vorbereitet, die Verteidigung der Türkei im Rahmen der NATO über einen nicht näher
begrenzten Zeitraum zu unterstützen.
Mit diesem Einsatz wollen die USA klar und deutlich machen, dass wir in enger
Zusammenarbeit mit unseren NATO-Verbündeten die Verteidigungsbemühungen der Türkei
insbesondere gegen potenzielle Bedrohungen aus Syrien weiterhin unterstützen werden.« (US
Air Force News, 14. Dezember 2012)
Die Patriot-Boden-Luft-Abfangraketen sollen also eingesetzt werden, um »mit den aus Syrien
kommenden Bedrohungen fertig zu werden«, erklärt US-Verteidigungsminister Leon Panetta. Zu
diesen Bedrohungen zählen »syrische Angriffe innerhalb der Türkei sowie Kämpfe zwischen
Regierungstruppen und Rebellenkämpfern, die auf türkisches Territorium übergreifen«. (CNN,
14. Dezember 2012). »›Wir können jetzt keine Zeit damit verschwenden, uns Gedanken darüber
zu machen, ob das Syrien jetzt gefällt oder nicht‹, sagte Panetta nach der Unterzeichnung
des Befehls am vergangenen Freitag.« (Ebenda,  Hervorhebungen von M.Ch.)
Zusätzlich zu der Verlegung der amerikanischen Patriot-Systeme haben auch Deutschland und
die Niederlande bestätigt, dass sie gegen Syrien gerichtete Patriot-Systeme in die Türkei
verlegen werden. Unerwähnt bleibt in der Erklärung des Pentagon, dass sich dieser Ausbau der
Patriot-Stellungen nicht nur gegen Syrien, sondern insbesondere gegen die russische
Militärpräsenz in Syrien sowie die russische Unterstützung bei der Verbesserung der
syrischen Luftabwehr richtet.
USA und NATO führen den Aufstand an
Dieser Schritt des Pentagon ist Teil des von den USA, der NATO und Israel angeführten
Aufstandes gegen Syrien. In den vergangenen Monaten hat sich dieser Aufstand faktisch, wenn
auch nicht offiziell, zu einer Invasion der Alliierten entwickelt, wie man an der Präsenz von
Spezialeinheiten aus Frankreich, England, der Türkei und Katar in Syrien erkennen kann.
Diese Spezialeinheiten sind in die Rebelleneinheiten »eingebettet«. Sie beteiligen sich nicht nur
an der Ausbildung der Rebelleneinheiten, sondern sind in Abstimmung mit der NATO faktisch
auch in die Kommandierung und Koordination der paramilitärischen Gruppen einbezogen.
Über ihre Spezialeinheiten und ihre Geheimdienstmitarbeiter vor Ort beeinflussen mit anderen
Worten Mitgliedsstaaten des Nordatlantischen Bündnisses maßgeblich die Art und Weise sowie
die Stoßrichtung der Rebellenaktivitäten. Eine der wichtigsten und kampfstärksten Gruppen ist
in diesem Zusammenhang die von den USA, der NATO, Saudi-Arabien und Katar angeworbene
und ausgebildete Schabhat an-Nusra (»Unterstützungsfront für das syrische Volk«), eine eng
mit al-Qaida verbundene Miliz, die bereits zahlreiche Terroranschläge gegen Zivilisten verübt
hat.
 
Ein umfassender Krieg in der Nahmittelostregion
Die Stationierung der amerikanischen Patriot-Raketen in der Türkei ist Teil einer Militarisierung,
die die gesamte Region erfasst hat, und zu der auch die Einrichtung amerikanischer
Kommandoposten und die Stationierung amerikanischer Truppen in Jordanien und Israel
gehören. Dieser militärische regionale Aufmarsch bedroht auch den Iran.
Darüber hinaus werden die Kriegsvorbereitungen der USA, der NATO und Israels im Hinblick
auf Syrien mit den Vorbereitungen eines militärischen Vorgehens gegen den Iran abgestimmt.
Die Kommandoposten in Israel, unter deren Befehl an die 1.000 amerikanische Soldaten
stehen, fallen in Koordination mit den israelischen Streitkräften unter die Zuständigkeit des
amerikanischen Regionalkommandos European Command (EUCOM).
Der iranische Generalstabschef Generalmajor Hassan Firouzabadi erklärte am vergangenen
Wochenende, die Stationierung der Patriot-Flugabwehrraketen entlang der türkisch-syrischen
Grenze beschwöre die Gefahr des Dritten Weltkriegs.
In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich zusätzlich zur Stationierung
der Patriot-Raketen in der Türkei auch in Kuwait, Katar, den Vereinig-ten Arabischen Emiraten
und Bahrain (2010) bereits Patriot-Luftabwehr-raketen in Position gebracht wurden, die diesmal
allerdings gegen den Iran gerichtet sind.
Russische Luftabwehrsysteme in Syrien
Als Reaktion auf die Stationierung von Flugabwehrraketen seitens der USA und ihrer
Verbündeten hat Russland Syrien moderne Iskander-Raketen geliefert, die nun voll
einsatzbereit sind. Zudem ist die syrische Luftverteidigung mit dem russischen
Flugabwehrsystem Pechora-2M ausgestattet. Bei der Iskander-Rakete handelt es sich um eine
Boden-Boden-Rakete, die bisher »von keinem anderen Raketenabwehrsystem erfasst oder
zerstört werden kann«:
»Die überlegene Iskander-Rakete erreicht eine Geschwindigkeit von bis zu zwei Kilometern pro
Sekunde  (sechs- bis siebenfache Schallgeschwindigkeit) und verfügt über eine Reichweite von
450 Kilometern. Sie ist in der Lage, ihren 680 Kilogramm schweren Gefechtskopf mit hoher
Genauigkeit ins Ziel zu bringen – ein Albtraum für jedes Raketenabwehrsystem
Darüber hinaus verfügt Syrien noch über das moderne Pechora-2M-Flugabwehrsystem, das
durchaus eine »Gefahr«, also eigentlich ein Hindernis, bei der möglicherweise beabsichtigten
Errichtung einer Flugverbotszone in Syrien darstellen könnte, wie amerikanische Militärs
einräumten. Bei Pechora-2M handelt es sich um ein hochentwickeltes Abwehrsystem, das
mehrere Ziele erfassen und verfolgen kann. Die Pechora-2M ist ein Boden-Luft-Kurzstrecken-
Abwehrsystem, das Flugzeuge, Marschflugkörper, Angriffshubschrauber und andere Luftziele
am Boden sowie in geringer und mittlerer Höhe bekämpfen kann.
 
Russland steht fest zu Syrien
Anders als kürzlich in vielen Medien zu vernehmen war, unterstützt Russland die Regierung von
Präsident Baschar al-Assad weiterhin. Am 14. Dezember trat das russische Außenministerium
Gerüchten entgegen, die vor allem von westlichen Nachrichtenagenturen und der New York
Times verbreitet wurden, nach denen Moskau seine Haltung zu Syrien geändert habe. Die
Medienberichte stützten sich dabei auf eine inoffizielle, spontane Äußerung des
stellvertretenden Außenministers Michail Bogdanow:
»›Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen: Die derzeitige Entwicklung zeigt, dass die
Regierung in zunehmendem Maße die Kontrolle über einen immer größer werdenden Teil des
Landes verliert‹, sagte Bogdanow vor der Gesellschaftskammer. ›Ein Sieg der Opposition kann
nicht ausgeschlossen werden.‹«
Diese Erklärung hat nichts mit der russischen Haltung zu Syrien zu tun. Anders als die Medien
unterstellen hat Moskau seine militärische Zusammenarbeit mit Damaskus als Reaktion auf die
westlichen Drohungen sogar intensiviert. »…Wir haben unsere Position zu keinem Zeitpunkt
geändert und werden das auch in Zukunft nicht tun«, sagte der russische Außenamtssprecher
Lukaschewitsch auf einer Pressekonferenz in Moskau.
Bemerkenswerterweise warf eben dieser russische stellvertretende Außenminister Michail
Bogdanow den westlichen Ländern am 5. Dezember vor, das Waffenembargo zu verletzen und
»in erheblichem Umfang« Waffen an die syrische »Opposition« zu liefern, die zum Großteil aus
Milizen besteht, die über Verbindungen zu al-Qaida verfügen.
 
Gefährlicher Scheideweg in den russisch-amerikanischen Beziehungen
Washington und seine Verbündeten haben die verschiedenen terroristischen Gruppen, die Teil
der »oppositionellen« Rebelleneinheiten sind, immer wieder unterstützt.
Erst vor kurzem hat die Freie Syrische Armee (FSA) damit gedroht, eine ukrainische Journalistin
zu ermorden, und angekündigt, sie werde »Russen und Ukrainer«, die sich in Syrien aufhielten,
töten. Die FSA bildet die Fußsoldaten des westlichen Militärbündnisses. Ohne westliche
Unterstützung wären sie nicht in der Lage, gegen die syrischen Regierungseinheiten zu
kämpfen.
 
Die Entscheidung, russische Bürger zu bedrohen und möglicherweise anzugreifen,
wurde nicht von den »oppositionellen« Rebelleneinheiten, sondern direkt in
Washington getroffen.
Diese Drohungen stellen eine bewusste Provokation an die Adresse der russischen Regierung
dar, die Syrien militärisch unterstützt. Und nun bedrohen die »Oppositionskräfte« in Abstimmung
mit den USA und der NATO Russland, einen Verbündeten Syriens.
Wir befinden uns an einem gefährlichen Scheideweg: Während die eine Seite Patriot-
Abwehrraketen in der Türkei stationiert, werden russische Iskander-Raketen in Syrien in
Position gebracht. Spezialeinheiten Frankreichs, Englands, der Türkei und Katars sind an der
Rekrutierung und Ausbildung von FSA-Rebellen beteiligt, bei denen es sich oft um Söldner
handelt. Jetzt bedroht die FSA auf  Befehl Washingtons russische Staatsbürger in Syrien, was
zu einer schweren diplomatischen Krise führen könnte.
Aus Moskauer Sicht kommen diese Drohungen einer »Kriegserklärung« sehr nahe, und deshalb
reagierte Russland mit der Feststellung: »Die vom Westen unterstützten bewaffneten
Aufständischen wurden zu einem Schritt ermutigt, der sie zu Gesetzlosen macht.« 
Sind diese Drohungen gegen russische Staatsbürger in Syrien der Auftakt zu einem harten
Konfrontationskurs zwischen Russland und der NATO?
18.12.2012
 Quelle:
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/prof-michel-
chossudovsky/gefaehrlicher-scheideweg-und-militaerische-eskalation-droht-in-
syrien-eine-russisch-amerikanische-k.html;jsessionid=69061A2A
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