Rom (dpa) - Die katholische Kirche steht vor einer neuen Ära. Nach der historischen
Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. wird weltweit über einen geeigneten
Nachfolger und über Reformen an der Spitze der Kirche diskutiert. Aus Afrika kommt die
Forderung nach einem schwarzen Papst.
Viele wünschen sich ein jüngeres Kirchenoberhaupt. Der 85-jährige Benedikt hatte Alters- und
Gesundheitsgründe für seinen Rückzug genannt. Theologen fordern eine Begrenzung der
Amtszeit von Päpsten. Auch über den künftigen Kurs der Kirche zwischen Tradition und
Moderne wird gestritten.
Bei den blühenden Spekulationen über den möglichen Nachfolger ist noch kein
Favorit erkennbar. Ein italienischer Papst wird ebenso für möglich gehalten wie - als
Zeichen der Öffnung - ein Kirchenoberhaupt aus Afrika, Lateinamerika oder Asien.
Die Katholiken in Ghana seien optimistisch, dass nun ein Afrikaner Papst werde,
berichtete das Webportal «Ghana Web». Kardinal Theodore Adrien Sarr aus Senegal
sagte Medienberichten zufolge, er frage sich schon lange, wann es endlich einen
Papst aus Afrika geben werde.
Reformkräfte fürchten, dass der scheidende Papst mit der Ernennung zahlreicher
Kardinäle bereits eine Vorentscheidung zur Fortsetzung seines konservativen Kurses
getroffen hat. Am 28. Februar wird Benedikt sein Pontifikat aufgeben - das hat es in
der Neuzeit noch nie gegeben. Dann beginnt innerhalb von 15 bis 20 Tagen das
Konklave, das seinen Nachfolger wählt.
Bis Ostern soll feststehen, wer neuer Papst wird. Voraussichtlich 117 Kardinäle aus
aller Welt sind beim Konklave wahlberechtigt, darunter 6 aus Deutschland. Es gilt
als sicher, dass auch das neue Oberhaupt der Katholiken aus dem Kreis dieser
Kardinäle kommt, theoretisch kann aber jeder männliche Katholik gewählt werden.
Als geeignete Nachfolger werden unter anderem der Mailänder Erzbischof Angelo
Scola (71) und die beiden Afrikaner Peter Turkson (64) aus Ghana und Francis
Arinze (80) aus Nigeria genannt. Auch Kardinal Marc Ouellet (68) aus Quebec und
dem New Yorker Erzbischof Timothy Dolan (63) werden Chancen eingeräumt. Aus
Lateinamerika werden der Erzbischof von Sao Paulo, Kardinal Otto Scherer (63),
und Kurienkardinal Leonardo Sandri (69) aus Argentinien genannt. Aus Asien gilt
der philippinische Kardinal Luis Antonio Tagle (55) als «papabile», also als möglicher
Papst.
Benedikt selbst nimmt auch nach seiner Rücktrittsankündigung weiter Termine
wahr. Dazu gehörten Treffen mit Bischöfen und ausländischen Staatsgästen, teilte
Vatikansprecher Federico Lombardi mit. An diesem Mittwoch steht die
Generalaudienz auf dem Programm. Zudem sei eine große Feier mit dem Papst zum
Aschermittwoch geplant, dem Beginn der Fastenzeit. Das werde voraussichtlich
seine letzte große öffentliche Zeremonie sein.
Benedikt wird nach seinem Rücktritt zunächst in der päpstlichen Sommerresidenz
Castel Gandolfo bei Rom wohnen und sich später in ein Kloster im Vatikan
zurückziehen. «Die Wohnung wird schon eingerichtet», sagte Papst-Bruder Georg
Ratzinger (89). Offensichtlich will der einstige Theologieprofessor Joseph Ratzinger
dort wieder wissenschaftlich arbeiten. «Es wird eine kleine Schreibstube
eingerichtet.»
Für seine Entscheidung zum Rücktritt erhielt Benedikt weltweit Anerkennung, Lob
und Respekt. Der Kreml würdigte ihn am Dienstag als Förderer des Dialogs unter
den Religionen. «Nach seinem Amtsantritt 2005 haben sich die Beziehungen
zwischen Russland und dem Vatikan sehr konstruktiv entwickelt», sagte der Berater
von Präsident Wladimir Putin, Juri Uschakow. Der israelische Präsident Schimon
Peres hob die Verdienste des Papstes für das katholisch-jüdische Verhältnis hervor.
«Die Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan sind so gut wie nie zuvor»,
sagte Peres.
Nach Einschätzung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) hat der
Papst mit seinem Rückzug einen neuen Standard gesetzt. Benedikt hatte am Montag
völlig überraschend als erster Papst seit mehr als 700 Jahren seinen freiwilligen
Rücktritt angekündigt.
Dieser zwingt die katholische Kirche nach Ansicht des Frankfurter Theologen Knut
Wenzel, Regeln für einen Rückzug von Kirchenoberhäuptern zu schaffen. Auch der
Papstvertraute Professor Wolfgang Beinert sprach sich für eine Amtszeitbegrenzung
an der Kirchenspitze aus. Der Münchner Kirchenrechtler Stephan Haering erinnerte
daran, dass bis vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch Bischöfe auf Lebenszeit
im Amt waren, inzwischen seien Rücktritte völlig normal.
Der Rücktritt des Papstes beweist nach Meinung des Experten Franz-Xaver
Kaufmann dessen Modernität. «Er ist der erste Papst, der zwischen Amt und Person
deutlich trennt», sagte der Schweizer Soziologe am Dienstag der
Nachrichtenagentur dpa in Bonn. Eine wichtige Aufgabe für einen neuen Papst wäre
eine Reform der Kurie - der Leitungsorgane der katholischen Kirche im Vatikan. Dort
hätten sich mit der Zeit vermutlich «mafiöse Tendenzen» entwickelt.
Der Theologe und Papstkritiker Hans Küng rechnet nicht damit, dass die katholische
Kirche in Zukunft von einem reformorientierten Papst geführt wird. Der scheidende
Papst habe viele sehr konservative Kardinäle berufen und somit die Weichen für die
Wahl seines Nachfolgers gestellt, sagte Küng dem Südwestrundfunk (SWR). «Er
kennt jeden persönlich», sagte Küng. «Er hat alle Möglichkeiten, da irgendwie die
Wahl zu beeinflussen. Und ich hoffe, er tut das nicht.»
Quelle: http://www.wnoz.de/index.php?WNOZID=1f27c6428305761493ae914285
61bd5d&kat=10&artikel=110245851&red=1&ausgabe=61905