Wladimir Putin
Putin: "Ich war ein Rowdy"
Ich war ein Rowdy“, räumt Putin ein. „Ich war klein und schmächtig und hatte trotzdem die
Führerposition, ich war der ungekrönte Anführer."
Am Nikolaustag des Jahres 1989, einen Monat nach dem Fall der Berliner Mauer, trat Egon
Krenz als Staatsratsvorsitzender der DDR zurück, nachdem er sieben Wochen lang Nachfolger
Erich Honeckers sein durfte.
Es waren unruhige Zeiten, in Dresden stürmte an diesem Mittwochabend eine wütende Menge
das örtliche Stabsquartier der Stasi in der Angelikastraße. Danach wandte sie sich der anderen
Straßenseite zu, dem Haus Nummer 4, einer alten, grauen Villa. Hier residierte der KGB, der
sowjetische Geheimdienst.
Die Russen versuchten, die Menschen zu beruhigen, sie ins Gespräch zu verwickeln. „Ich
verstand die Leute. Sie hatten es satt, sich von der Stasi kontrollieren zu lassen, sie hatten zu
lange in Angst und Schrecken gelebt, die Stasi war wie ein Ungeheuer für sie“, sagte später
einer von ihnen, der Oberstleutnant Wladimir Putin.
An diesem Abend tritt der kleine Mann, der perfekt Deutsch spricht, vor das Haus, diskutiert mit
den Demonstranten. Aber es wird immer lauter. Schließlich greift er zum Telefon und ruft die
nächste sowjetische Kaserne an, bittet um Beistand. Er erhält zur Antwort, dass dies erst in
Moskau genehmigt werden müsse. Aber von dort kommt keine Reaktion. „Moskau schweigt“,
lässt ihn der Offizier telefonisch wissen. Zwei Worte, die sich ins Gehirn des jungen
Geheimdienstlers brannten. „Sie schockierten mich“, sagt Putin heute, „niemand rührte einen
Finger, um uns zu verteidigen. Mir wurde in dieser Sekunde klar, dass die Sowjetunion krank
war, todkrank. Ich hatte das Gefühl, als ob das Land schon nicht mehr existierte.“
Dabei war zuvor alles so perfekt gewesen. 1985 waren Wladimir und Ljudmila Putin nach
Dresden gezogen, er im Rang eines Hauptmanns des Geheimdienstes. In den Jahren zuvor war
er viel auf Reisen gewesen, meist als Aufpasser für sowjetische Sportler im Ausland.
Nun hatte die junge Familie Zeit für sich, lebte in einer Zweieieinhalb-Zimmer-Wohnung im
dritten Stock eines Plattenbaus an der Radeberger Straße 101. Man ist beeindruckt von der
DDR. Ljudmila Putin später: „Die Deutschen hatten einen viel höheren Lebensstandard als wir.
Alles war so sauber und ordentlich.“
1986 wird die zweite Tochter Maria in Dresden geboren. Man erkundet die Gegend, macht an
den Wochenenden mit dem grauen Dienst-Lada Ausflüge in die Sächsische Schweiz. „Wir
fuhren regelmäßig nach Radeberg, wo das beste Bier gebraut wurde“, erinnert sich Wladimir
Putin. „Ich nahm immer eine Drei-Liter-Maß.“
Auch abends in seinem Stammlokal „Am Thor“ in der Dresdner Hauptstraße genießt er das
deutsche Bier. „Ich nahm damals stark zu, wog am Ende 85 Kilogramm bei 1,72 Meter
Körpergröße – ich musste meine Garderobe von Größe 44 auf 52 umstellen.“ Der drahtige
Kampfsportler war moppelig geworden.
Aber die deutsche Gemütlichkeit verstellte ihm nicht den Blick auf die Realitäten: „Ich ahnte
schon einige Zeit vor 1989, dass das Ende unvermeidlich war, auch das der Sowjetunion. Es tat
mir zwar leid um die verlorenen Positionen der Sowjetunion in Europa, aber mein Verstand
sagte mir, dass Positionen, die nur auf Mauern basieren, nicht ewig bestehen können.“
Seine Aufgabe als KGB-Offizier, ausländische Stundenten fü Spionagetätigkeiten zu gewinnen,
erschien ihm zunehmend sinnlos: „Das, was wir machten, brauchte niemand mehr. Wozu sollten
wir Leute anwerben, Informationen beschaffen, Berichte schreiben, die in der Zentrale kein
Mensch mehr las?“ „Moskau schweigt“ – an diesem Abend wurde ihm klar: Die Sowjetunion
brauchte ihn und seinesgleichen nicht mehr.
Und Putin beschloss, die Sowjetunion ebenfalls nicht mehr zu brauchen. Aus dem
ordensgeschmückten Sowjetagenten wurde zügig ein Antikommunist. Der Kommunismus habe
Russland terrorisiert und heruntergewirtschaftet, urteilt er später. Aber trotzdem: „Einfach so ins
Chaos hineinschlittern, das hätte nicht passieren dürfen! Es wäre besser gewesen, wenn auf die
Ereignisse ein organisierter Wechsel gefolgt wäre“, meint er. „Aber sie haben einfach alles
hingeschmissen und sind gegangen. Das ist ärgerlich.“
Dennoch ist er nie aus der Partei ausgetreten. „Sie hörte einfach auf zu existieren, man konnte
gar nicht mehr austreten. Ich legte meinen Parteiausweis in die Schublade. Da liegt er heute
noch.“ In seinem Buch „Aus erster Hand“, das im Jahr 2000 kurz nach seiner Ernennung zum
Interims-Staatspräsidenten erschien, bedauert Putin: „Ich bin nie wie in Agentenfilmen durch
Kanalisationsschächte gekrochen.“
Die Wirklichkeit hatte wenig mit den Filmen zu tun, die er sich als Jugendlicher massenweise
ansah. „Ich hatte romantische Vorstellungen von der Agentenarbeit, ich war ein Erfolgsprodukt
der patriotischen Erziehung eines Sowjetmenschen."
Quelle:  http://www.pm-magazin.de/r/mensch/putin-ich-war-ein-rowdy