FOCUS Magazin | Nr. 14 (2000)
VERRAT  Putins Spionage-Pleite
Montag, 03.04.2000, 00:00 · von FOCUS-Reporter Josef Hufelschulte
Der Verfassungsschutz hält ein Dossier über eine peinliche Panne des neuen
russischen Präsidenten unter Verschluss
Gute alte Tante DDR. Die Leute nett und diszipliniert, das Bier süffig und rein.
Deutsche Sprache, deutsche Tugenden, deutsche Literatur – alles nur Bestnoten.
Russlands neuer Präsident Wladimir Putin, 47, geriet jüngst zu Wahlkampfzeiten
leicht ins Schwärmen, wenn er sich an seine Jahre als ehrgeiziger Geheimdienst-
Offizier in Dresden erinnerte.
Ein eher unrühmliches Kapitel seiner KGB-Karriere in Sachsen hält der gelernte
Geheimniskrämer indes bis heute unter Verschluss. Es war immerhin eine
empfindliche Schlappe: Kurz nach seinem Abschied aus Dresden enttarnte der
deutsche Verfassungsschutz Putins konspiratives Agentennetz, das auch nach dem
Mauerfall Moskau mit Top-Informationen beliefern sollte.
Der Auslöser für Putins Pleite war ein Überläufer.Klaus Zuchold, 44, einst ein
strammer Offizier des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und heute
Wachmann beim ZDF in Mainz, hatte sich von Agenten-Führer Putin persönlich
anwerben lassen. Zwei Monate nach der deutschen Wiedervereinigung – es war wohl
die Stunde der Patrioten – packte Zuchold bei der Spionage-Abwehr umfassend aus.
Die Folge: 15 deutsche Kundschafter in Moskaus Diensten, Führungsoffiziere
inklusive, flogen auf.
Der deutsche Verfassungsschutz schwieg seinerzeit bescheiden und hält auch heute
den Mund – neuerdings wohl eher aus übergeordneten politischen Gründen.
Niemand in Berlin will den starken Mann im Kreml mit Schlapphut-Storys erzürnen.
Die aus Putins Sicht so unglücklich endende Spionagegeschichte beginnt beim
Frühsport. An einem Donnerstagmorgen im Herbst 1985 spielen Stasi-Mann Klaus
Zuchold und seine Genossen Fußball. Plötzlich tauchen zwei Russen auf – vom
großen Bruder KGB, wie jeder gleich weiß. Der jüngere Mann, ein drahtiger Typ,
stellt sich als „Wolodja“ vor. Ob er denn mit- machen könne, fragt er. Kein Problem
unter tschekistischen Sportskanonen. „Wolodja“ alias Wladimir Putin legt gleich los
und rennt allen davon.
Die Bolzerei ist der Beginn einer mehrjährigen Freundschaft. Der Russe und der
Deutsche treffen sich immer wieder mit ihren Frauen, mal in Putins Zwei-Zimmer-
Wohnung an der Radeberger Straße 101, mal in Zucholds Garten. Der Mann aus
Leningrad präsentiert stolz seine Diplomurkunde der juristischen Fakultät oder die
neue Stereoanlage, gekauft im Westberliner Kaufhaus des Westens. Zuchold
begeistert die Russen für die Naturschönheiten der Sächsischen Schweiz oder
beklagt sich auch mal bei seinem Geheimdienst-Kumpel über russische Soldaten, die
regelmäßig die Gemüse-beete plündern. Zuchold: „Putin hat gebrüllt vor lauter
Lachen.“
Der Fall der Berliner Mauer beendet Jux und Tollerei. 16. Januar 1990: In seiner
eigenen Wohnung unterschreibt der mittlerweile aus Stasi-Diensten ausgeschiedene
Klaus Zuchold eine Verpflichtungserklärung für Moskaus Geheimdienst. KGB-
Führungsoffizier Wladimir Putin köpft eine Flasche Sekt und verdonnert seinen
neuen Agenten – Deckname Klaus Zaunick – zur absoluten Verschwiegenheit.
Andernfalls, der smarte Russe lächelt nicht mehr, drohten schlimmste Strafen.
Ein fester Händedruck besiegelt den Pakt. Putin nennt seinem Spion einige
ostdeutsche Führungsagenten und erteilt dann diesen Auftrag: Zuchold, inzwischen
in der Hotelbranche tätig, soll sich zunächst als „Schläfer“ ganz ruhig verhalten und
später möglichst erpresserisches Material über Politiker, Wissenschaftler und
Kaufleute liefern.
Die KGB-Liaison dauert nur elf Monate. Am 26. Dezember 1990 schleicht Zuchold
zum Bahnhof und wechselt per Schnellzug die Fronten. Als Geschenk, immerhin ist
noch Weihnachten, liefert er dem deutschen Staatsschutz Putins Maulwürfe. 15
Agenten in Dresden, Erfurt, Leipzig und Berlin sind enttarnt.
Die Bundesanwaltschaft verzichtet auf Strafverfahren gegen Zuchold & Co.
Stattdessen quetscht der Verfassungsschutz Putins ertappte Spionage-clique aus. Die
gesammelten Geständnisse füllen jetzt ein dickes Dossier über den neuen russischen
Zaren.
Überläufer Zuchold, der sich aus Angst vor Strafaktionen ein Jahr lang versteckte,
lobt seinen früheren Agenten-Boss heute in höchsten Tönen. „Ein Supertyp. Ich habs
immer geahnt“, sagt er, „aus dem wird noch was.“
Quelle:  http://www.focus.de/politik/deutschland/verrat-putins-spionage-
                pleite_aid_182810.html