Ein Workaholic, der Radeberger Bier liebt“
Wolodja war ein intelligenter, sehr fleißiger KGB-Mitarbeiter, aber ein
‚Superspion‘, der aus dem Kreise seiner Kollegen herausragte, war er nicht." Der
solchermaßen Charakterisierte sitzt heute als russischer Präsident im Kreml und
heißt Wladimir Putin.
Viktor Adjanow kennt den ersten Mann im Staate aus gemeinsamer Dienstzeit in
Dresden. In der Radeberger Straße wohnte der Ex-KGB-Oberst eine Etage über
den Putins. Der war, als sie sich 1986 kennen lernten, Major, Adjanow
Oberstleutnant. Aber dieser Unterschied im Rang habe keine große Rolle gespielt,
„wir waren Kollegen".
Fünf bis sechs Mann haben in dem Haus in der Dresdner Angelika-Straße 4
gesessen, gleich gegenüber der Stasi-Bezirksverwaltung. Chef des Unternehmens
war zu Adjanows und Putins Zeit ein Oberst Lasar Matwej, der sich seine Sporen
in den Lagern für sowjetische Künstler verdient hatte, indem er selbst dort
versuchte, inhaftierte Sänger, Schriftsteller und Dichter auszuhorchen.
Es hat bisher viele Veröffentlichungen über den angeblichen „Wunderspion"
Wladimir Putin gegeben. Der ehemalige Oberst Adjanow, heute Geschäftsmann
mit deutschen Partnern, verweist das alles ins Reich der Legende. Weder habe
Putin für den GRU, den Aufklärungsdienst des Generalstabs, spioniert, noch sei er
nebenbei Direktor eines Kulturhauses in Leipzig gewesen, um von dort das
sowjetische Spionagenetz in der Bundesrepublik zu steuern. „Quatsch, dafür hatte
er als Major gar nicht den erforderlichen Rang", plaudert Adjanow. Außerdem
wäre das „absolut unsinnig" gewesen, dieses Netz von der DDR aus zu führen.
„Das wäre dem Versuch gleich gekommen, einen Spionageapparat auf dem Mond
zu leiten", versichert der ehemalige KGB-Offizier in ausgezeichnetem Deutsch.
Die Sprachkenntnisse hat er sich durch sein Germanistik-Studium in Woronesch
angeeignet. „Ein Jahr lange habe ich sogar in Halle studiert und über Lessings
Dramentheorie und den Verfremdungseffekt bei Brecht geschrieben", erzählt der
53-jährige Adjanow. In der Kenntnis der deutschen Sprache habe in der Dresdner
KGB-Dienststelle nur Putin mit ihm mithalten können, erinnert er sich.
Aber was haben denn nun er und der heutige russische Präsident Putin getrieben in
ihrer Dresdner Zeit? Es braucht zwei Abende und nicht wenig Wodka, um den
Zipfel ein wenig zu lüpfen und ein paar Einzelheiten in Erfahrung zu bringen.
Nach dem Zusammenbruch der DDR gibt es da eigentlich keine Geheimnisse
mehr, aber ein Leben als Spion prägte auch Adjanow: Er hält die Antworten so
unkonkret wie möglich und rückt erst nach und nach mit ein paar Details heraus.
Die KGB-Dienststelle in Dresden hatte, wie die den vierzehn anderen
Bezirksverwaltungen des MfS zugeordneten Büros des sowjetischen
Spionagedienstes, zwei Aufgaben. „Erstens: Die Aufrechterhaltung der Kontakte
zum MfS", was offensichtlich auch eine gewisse Überwachungsfunktion
beinhaltete. Man habe sich mit den „Freunden" von der Stasi zu offiziellen
Gesprächen, aber auch zu Feiertagen getroffen. Ebenso gab es private Kontakte.
„Wir haben gemeinsam geangelt und Schaschlik gebraten." Ein idyllisches Bild.
Auch habe man sich gegenseitig beschenkt. „Wir brachten zum Beispiel Wodka
aus Moskau mit, auch schon mal irgendwelche Elektrogeräte oder Fernseher. Sehr
beliebt war damals ein Gerät namens ‚Junost‘", erinnert sich Adjanow. „Wolodja
hat sich immer freiwillig zu den Begegnungen gemeldet. Als Parteisekretär unserer
Gruppe durfte er auch an Besprechungen teilnehmen, die ihm sonst aufgrund
seines niedrigen Dienstranges verschlossen geblieben wären." Der Zweck der
Übung bestand darin, über die „Kollegen" jederzeit Zugriff auf Stasi-
Informationen zu haben. „Die wussten viel, sogar uns haben sie überwacht",
beschwert sich Adjanow heute.
Die zweite Aufgabe habe in der „operativen Arbeit" bestanden, wie Spionage im
russischen Geheimdienstslang umschrieben wird. Laut Vertrag, so Adjanow, habe
man dabei in der DDR nicht aktiv werden dürfen. Getan hat man es trotzdem.
So verfolgten die KGB-Schnüffler sehr genau, was sich im einzigen privaten
wissenschaftlichen Institut des Herrn Manfred von Ardenne in Dresden-Weißer
Hirsch tat. Ardenne und etliche seiner Mitarbeiter waren nach Kriegsende in die
Sowjetunion gebracht worden. In der freundlichen Umgebung der georgischen
Schwarzmeer-Stadt Suchumi waren sie am sowjetischen Atom-Projekt beteiligt.
Nach seiner Rückkehr in die DDR nutzte Ardenne seine Sonderstellung, um das
noch heute existierende Institut zu gründen. Da habe man schon wissen wollen,
was dort vor sich geht, erzählt Adjanow, „zumal ja das Uranbergwerk der ‚Wismut
AG‘ ganz in der Nähe war".
Die Hauptaufgabe für ihn und Putin habe indes darin bestanden, politische und
wissenschaftlich-technische Informationen aus der Bundesrepublik und der Nato
zu beschaffen. Dabei sei es jedoch völlig unüblich gewesen, sich gegenseitig über
aktuelle Vorgänge zu informieren. Putins Wirken habe sich indes kaum von
seinem eigenen unterschieden, erläutert der nun ins Geschäftsleben gewechselte
Ex-Spion. Höchstens insofern: „Putin war ein Workaholic, der Radeberger Bier
liebte."
Was also trieben die Herren Adjanow und Putin? „Du suchst den Menschen, der
dir behilflich sein kann. Einige wurden uns direkt vom MfS vermittelt." Andere
habe man selbst rekrutiert, bei „Robotron" etwa, oder an der Technischen
Universität Dresden. „Beide Institutionen waren nicht interessant für uns, aber die
Kontakte der Mitarbeiter zum Westen", erzählte Adjanow. So habe er einen Mann
gefunden, der seine alte Bekanntschaft mit einem Mitarbeiter des
Bundeskanzleramtes wieder auffrischte und ihm von dort Informationen
beschaffte. Ein anderer habe einem alten Freund in Kiel erzählt, er sammle Bilder
von Kriegsschiffen, um sie im Modell nachbauen zu können. „Der Freund lieferte
die schönsten Farbfotos, die natürlich alle bei uns landeten", brüstet sich Adjanow.
Aber die Welt ist ungerecht, findet Adjanow. Da habe er immer freundschaftlich
mit den Deutschen zusammengearbeitet, niemandem etwas Böses getan. In seiner
Zeit als Mitarbeiter der Presseabteilung des russischen Außenministeriums habe er
nicht einmal vor Besuchen bei deutschen Journalisten zurückgeschreckt, die auf
dem Compound am Moskauer Kutusowskij-Prospekt wohnten. Und der Dank?
„Die Deutschen geben mir kein Visum", klagt er. „Ich hätte Präsident werden
sollen."
Redakteur: MDZ, 3.7.2001
Quelle:  http://www.mdz-moskau.eu/einworkaholicderradebergerbierliebt/