Jeder , der Karol Wojtylas Dauerstreit mit der Kirchenregierung, der römischen Kurie,
mitbekommen hatte, wusste, dass die Kurie sich jahrzehntelang bitter darüber
beklagte, dass der Papst einfach nicht heilig genug war. Der Vatikan sah bis zur Wahl
Karol Wojtylas im Jahr 1978 den Papst als ein abgehobenes, perfektes, elfengleiches
Wesen, mehr Geist als Mensch, ein Geschöpf des Äthers, so gut wie körperlos, das
sich nur selten den Menschen zeigte und in einer majestätischen Perfektion verharrte
wie ein körperloser Engel. Gemessen an diesen Vorstellungen wirkte Karol Wojtyla
als Papst wie ein Rugby-Spieler auf einem schlammigen Feld, was die
Kurienkardinäle dazu brachte, sich die Haare zu raufen. Krach gab es von der ersten
Sekunde an.
Nach seiner Wahl empfing der neue Papst Karol Wojtyla, wie es üblich war, die
Kardinäle. Dabei sitzt der Papst, und die Kardinäle knien vor ihm nieder; doch der
Mann aus dem Dorf Wadowice wollte sich auf keinen Fall daran halten, mit der
Begründung, die Kardinäle seien schließlich seine Brüder. Er zwang sie, aufzustehen
und ihn in den Arm zu nehmen, statt vor ihm niederzuknien.
Danach gab es sofort wieder Krach, noch in den ersten Tagen. Diesmal wegen des
tragbaren Thrones, de Sedia gestatoria. Alle Päpste hatten ihn seit etwa 1500 Jahren
benutzt, auch noch Karol Wojtylas Vorgänger Papst Johannes Paul I.; aber Papst
Johannes Paul II. schaffte trotz gewaltigen Drucks der Kurie das alte Möbelstück ab.
Statt sich an den Pilgern vorbeitragen zu lassen, ging er zu ihnen, redete mit ihnen,
segnete und umarmte sie. Das hatte es noch nie gegeben.
 Und dann, auf jenem legendären Flug über Japan schließlich, ging Papst Johannes
Paul II. freundlich grüßend an allen Gästen und Journalisten vorbei zur Toilette. Von
diesem Tag an wurde der Waschraum im vorderen Teil des Flugzeugs für den Papst
reserviert. Ein Pontifex, der auf die Toilette ging, vor den Augen aller, war einem
Großteil der Kardinäle ein absoluter Graus.
Um das zu verstehen, braucht man sich nur die Autos von Papst Pius XI. anzusehen.
In den Wagen gabe es so etwas wie eine Drehscheibe. Der Papst konnte dem Fahrer
durch Drehen de Scheibe sagen, wohin er fahren sollte, nach links, nach rechts,
anhalten, parken. Auf einem Teil de Schreibe stand „a casa“, dann wusste der Fahrer,
dass er den Papst nach Hause fahren musste. Dieser komplizierte Mechanismus war
ausschließlich dazu da, um zu verhindern, dass der Papst mit seinem Fahrer sprach,
was undenkbar gewesen wäre, ebenso hätte der Fahrer sich niemals erlaubt, den
Papst anzusprechen.
Quelle:  Andreas Englisch, „Der Wunderpapst Johannes Paul II.“,
              C.Bertelsmann, 2011, S.12 ff.
Statt sich an das jahrhundertealte Protokoll zu halten und die Kardinäle
nach seiner Wahl auf dem Thron sitzend zu empfangen, bestand Papst
Johannes Paul II. darauf, sie stehend zu empfangen und zu umarmen