Die jungen Männer wurden regelrecht tyrannisiert. Nachts wurden sie aus den
Pritschen in ihren Baracken getrommelt und dazu gedrängt, sich „freiwillig“ zur
Waffen-SS zu melden. Viele, die zu erschöpft waren, um Widerstand zu leisten,
wurden auf diese Weise zum Dienst bei den  Unmenschen verpflichtet.  Als Ratzinger
sagte, er hege die Absicht, katholischer Priester zu werden, verhöhnte und
beschimpfte man ihn. Doch zumindest war dieser Kelch an ihm vorübergegangen.
Beim Arbeitsdienst erlebte der 17-jährige zum ersten Mal bewusst den
pseudoreligiösen Charakter des Nationalsozialismus, „Hitlers Religion“ in Reinform.
Wie sein Bruder Georg , so wurde auch er, wie er in seinen Erinnerungen „Aus
meinem Leben“ schrieb, in einem „Ritual ausgebildet, das auf eine Art von Kult des
Spatens und Kult der Arbeit als erlösende Macht ausgerichtet war“. Aufnahmen und
Abnehmen des Spatens, seine Reinigung und Präsentation erschienen ihm wie eine
„Pseudo-Liturgie“. Erst als die Front immer näher rückte, nahmen die Spatenrituale
ein jähes Ende. Plötzlich war der Spaten wieder das, was er eigentlich immer war: ein
banales Alltagswerkzeug. Sein „Fall“ aber verkörperte den Zusammenbruch des
Nationalsozialismus, der sich jetzt überall unübersehbar abzeichnete: „Eine ganze
Liturgie und die hinter ihr stehende Welt erwies sich als Lüge.“
Quelle:  Georg Ratzinger, „Mein Bruder der Papst“, Anmerkung von
                 Michael Hesemann, S.127 ff.