Auf die Muslimbruderschaft  geht der sogenannte „Islamismus“ zurück.
Diesem liegt eine explizit politisch ausgerichtete Islamauslegung zugrunde,
die sich seit der Abschaffung des Kalifates durch Atatürk 1924 in der Türkei
entwickelte.
Dr.Albayati schreibt dazu: „Langfristig wollen islamistische Gruppen wie die
Muslimbruderschaft mit ihren globalen Netzwerken ein neues, globales Kali-
fat als Ausdruck einer der Gegenwart angemessenen islamischen Umma (Ge-
meinde) errichten, wobei diese islamistischen Bewegungen oftmals gleichzei-
tig soziale Bewegungen sind, die sich direkt an den jeweiligen muslimischen
Bevölkerungsteile in die einzelnen islamischen Ländern wenden, damit sich
die Gläubigen gegen ihre eigenen, „unislamisch“ angesehenen Regierungen
wenden und sie in der Folge stürzen bzw. sich in Europa von der nicht-musli-
mischen Umwelt abwenden, da Solidarität vorgeblich nur unter Muslimen
gilt.
Nichtmuslime und integrierte Muslime mit anderen Auffassungen sind zu
hassen. Damit einher geht die Verpflichtung, die Scharia konsequent einzu-
führen, da der Islam nur dann Religion sein kann, wenn Muslime herrschen
und eine auf der Scharia begründete sozio-politische Ordnung besteht, weil
religiöser Wahrheitsanspruch und weltliches Dominanzstreben angeblich
eine unauflösliche Einheit bilden. (…)
Die Muslimbruderschaft agiert zum einen in Form von nationalen Verbän-
den, wie die Harakat en-Nahda (Bewegung der Wiedergeburt) in Tunesien
und die Islamische Aktionsfront (IAF) in Jordanien, welche lokale Gründun-
gen darstellen, die in ihren Heimatländern das Recht der Scharia einführen
wollen.
Eine der bekanntesten Beispiele eines nationalen Verbandes der Muslim-
bruderschaft ist etwa die Hamas (Harakat al-Muquawama al-Islamiyya =
Islamische Widerstandsbewegung) in Gaza, die während der zweiten Intifada
vom palästinensischen Zweig der Bruderschaft gegründet wurde.
Die Hamas ist politische Partei ebenso wie karitatives Netzwerk und führt
durch ihren militärischen Arm, den Kata’ib asch-Schahid `‘Izz ad-Dinal-
Qassam (Brigaden des Märtyrers  ‘Izz ad-Din al-Qassam), den gewaltsamen
Dschihad gegen Israel. Das Ziel der Hamas ist die vollständige Vernichtung
Israels als Vorstufe einer globalen zweiten Shoa.
Die Muslimbruderschaft hat seit den späten 1950er-Jahren begonnen, überall
Netzwerke mit informeller Mitgliedschaft zu installieren, die in der Regel
ihre Zugehörigkeit zur ägyptischen Mutterorganisation verschweigen.
Dabei versucht man oftmals, durch einen angeblichen „Dialog der Religio-
nen“ die angestrebten Ziele zu erreichen, wobei Kritiker entweder juristisch
durch Androhung von Klagen oder durch Stigmatisierung mit moralinsauren
Floskeln wie „Islamophobie“, „Muslimfeind“ und „Rassist“ zum Schweigen
gebracht werden sollen.
Diese Gruppierungen, die den europäischen Muslimbrüdern zugerechnet
werden, haben so erfolgreiche Lobbyarbeit geleistet, dass sie sich bis auf die
Ebene des EU-Parlaments etablieren konnten: Brüssel unterstützt teilweise
eine von den Islamisten initiierte Kampagne gegen angebliche „Islamophobie
in Europa“. In München etwa wurde irgendwann in den Jahren 1979 – 1982
in einer einschlägig bekannten Moschee ein als Tanzim ad-Duwali (Interna-
tionale Organisation – IO) bekannter Auslandsableger mit Schwerpunkt
Europa gegründet, die zum ägyptischen Zweig der Bruderschaft gezählt
wird. (S.62ff.)
Der Nachwuchs der Muslimbruderschaft in Europa wird gemäß Dr.Albayati
an verschiedenen privaten Hochschulen mit Niederlassungen in Frankreich
und Großbritannien zu Imamen ausgebildet. In diesen Ausbildungsstätten
verinnerlichen die angehenden Imame in einer von der Umwelt abgeschirm-
ten Umgebung die Lehren der Bruderschaft, um sie später in ganz Europa zu
verbreiten.
Diese Imame predigen dann in den Moscheen. Nicht nur das – die Lehren
werden auch in diversen islamischen Schulen und Kindergärten weiterge-
geben …
Dr.Albayati schreibt dazu: „Zum Beispiel wurde über Jahre die Verhaltens-
regel „Das Erlaubte und das Verbotene im Islam“ im islamischen Religions-
unterricht verwendet. Die Regel stammt von dem 1926 geborenen Yusuf al-
Qaradawi. Er gilt nicht nur als führende spirituelle Autorität der Muslim-
bruderschaft, sondern auch als der derzeit einflussreichste islamische Theo-
loge mit einer zahlenmäßig nicht unerheblichen Anhängerschaft in Europa.
Unter anderem ist er der Vorsitzende der European Council for Fatwa and
Research (ECFR) mit Sitz in Dublin. Der ECFR wird der Muslimbruder-
schaft zugerechnet und ist eine Organisation islamischer Gelehrter, welche
danach strebt, im Westen Lebensformen nach den Vorschriften der Scharia 
durchzusetzen, wobei durch Fatawa (unverbindliche Rechtsgutachten) die
Interaktion von Muslimen mit den säkularen Gesellschaften des Westens
reguliert werden soll.
Nach der Lehre al-Qaradawis sollen sich Muslime, solange sie in der
Minderheit sind, wie derzeit in Europa, zeitweise an das geltende säkulare
Recht anpassen. Während der Zeit des Überganges, also bis die gesamte
Scharia eingeführt ist, müssen sie auch nicht alle Gebote des Islam beachten,
im Vordergrund steht in solchen Zeiten die Durchdringung der Gesellschaft
mit der Scharia. Es geht ihm dabei nicht um eine erfolgreiche Integration der
Muslime in Europa, vielmehr sollen die in Europa lebenden Muslime ihrer
Verpflichtung treu bleiben, langfristig in eine Mehrheitsposition zu gelangen,
um dann die gesamte Scharia einzuführen. Das ist es, was auch die Muslim-
bruderschaft anstrebt.“ (S.68ff.)
Muslimbruderschaft 
Quelle: Amer Albayati, “Auf der Todesliste des IS - Ein Islam-Insider & Reformer
              als bedrohter Warner vor Radikalismus und Terror”, 2016, Seifert Verlag