19.12.2013
Augenzeugenberichte über Massaker in der syrischen Stadt Adra:
»Abgeschlachtet wie die Schafe«
Redaktion
Überlebende Flüchtlinge berichten immer neue grausame Einzelheiten über das
Massaker, das islamistische Rebellenkämpfer in der etwa 20 Kilometer nördlich
Damaskus gelegenen Stadt Adra anrichteten. Mindestens 80 Menschen verloren dabei
ihr Leben.
Die Einwohner, die aus Adra fliehen konnten, nennen die Kämpfer, die gegenwärtig
die Stadt kontrollieren, nur »die Enthaupter«. In Adra leben etwa 20 000 Menschen.
Die Stadt wurde in der vergangenen Woche von Rebellen der radikalislamischen Al-
Nusra-Front und der »Armee des Islam« (Dschaisch al-Islam), in der sich 43
Rebellengruppen zusammengeschlossen haben, nach heftigen Kämpfen mit
Regierungstruppen eingenommen. Die Eroberung der Stadt wurde von
Massenhinrichtungen von Zivilisten begleitet.
 
RussiaToday Arabic ist es gelungen, mit einigen der Augenzeugen der Grausam-
keiten zu sprechen. Die meisten von ihnen sind aus der Stadt geflohen und mussten
Angehörige und Freunde zurücklassen. Daher äußerten sie sich nur nach Zusiche-
rung ihrer Anonymität, um die Sicherheit der Zurückgelassenen und ihrer selbst
nicht zu gefährden. Ein Einwohner berichtete, ihm sei die Flucht »unter einem
Kugelhagel« gelungen. Später nahm er Kontakt mit Kollegen auf, die ihm
berichteten, dass und wie die Hinrichtungen an der Zivilbevölkerung von den
extremistischen Militanten durchgeführt wurden.
»Sie hatten Listen von Regierungsangestellten bei sich«, erzählte er. »Das bedeutet,
sie hatten die Hinrichtungen bereits im Vorfeld geplant und wussten genau, wer für
die Regierung tätig war. Sie gingen einfach zu der auf der Liste angegebenen
Adresse, zwangen die Leute gewaltsam, mit ihnen zu kommen, und stellten sie vor
ein so genanntes ›Scharia-Gericht‹. Ich glaube, so nannten sie das. Dann verurteilten
sie sie zum Tode durch Enthaupten.«
Ein Frau, die ihr Gesicht vor der Kamera verbarg, berichtete RussiaToday von den
Enthauptungen, die sie mit ansehen musste: Ȇberall wurden Menschen
abgeschlachtet. Der Älteste war gerade einmal 20 Jahre alt. Auch er wurde brutal
getötet. Sie waren alle noch Kinder. Ich habe es mit eigenen Augen mit angesehen.
Sie töteten 14 Menschen mit ihren Macheten. Ich weiß nicht, ob es sich bei den
Hingerichteten um Alawiten handelte. Ich weiß auch nicht, weswegen sie sterben
mussten. Sie haben sie einfach beim Schopf gepackt und wie Schafe abgeschlachtet.«
 
Berichten zufolge kamen bisher mindestens 80 Zivilisten bei dem Massaker ums
Leben. Die Zahl dürfte aber noch anwachsen, da die bisherigen Informationen, die
aus Adra durchsickerten, eher dürftig sind. Die Stadt wurde inzwischen von
regulären syrischen Streitkräften eingekesselt, die versuchen, die Extremisten aus
der Stadt zu vertreiben. »Aus der Zivilbevölkerung haben wir erfahren, dass in den
ersten Stunden des Angriffs sämtliche Arbeiter einer Bäckerei in Adra hingerichtet
und verbrannt wurden. Ganze Familien wurden massakriert. Wir haben keine
verlässlichen Schätzungen über die Zahl [der Getöteten], da wir die Stadt
gegenwärtig nicht betreten können, aber wir gehen davon aus, dass die Opferzahlen
hoch sind«, erklärte Kinda Shimat, der syrische Minister für soziale
Angelegenheiten, gegenüber RussiaToday.
Auch andere Augenzeugen berichteten über ihre Erlebnisse, so dass immer weitere
Einzelheiten über die Hinrichtungen ans Licht kommen. »Sie haben alle Personen,
die sich im Polizeirevier Adra Ummalia aufhielten, ermordet«, erzählte ein
Flüchtling aus der Stadt gegenüber RussiaToday. »Und sie töteten auch alle
Menschen im Adra-Ummalia-Krankenhaus, wo meine Schwester arbeitet. Sie blieb
nur am Leben, weil sie an diesem Tag nicht zur Arbeit ging. Gegenwärtig halten sich
etwa 200 Personen in dem Polizeirevier auf. Es handelt sich überwiegend um
Zivilisten. Die Rebellen verstecken sich unter ihnen und benutzen sie als
menschliche Schutzschilde, um Luftangriffe der Armee auf das Polizeirevier zu
verhindern.«
 
Diese Ereignisse in Adra sind ein weiterer Beleg für die Wende, die sich innerhalb
der syrischen Rebelleneinheiten, die in der letzten Zeit immer stärker von radikal-
islamistischen Kräften dominiert werden, vollzogen hat, berichtete Michel
Chossudovsky, Direktor des Zentrums für Erforschung der Globalisierung (Centre
for research on Globalization). »Die so genannten ›moderaten‹ Oppositionskräfte
sind aus militärischer Sicht praktisch bedeutungslos. Die einzigen militärischen
Kräfte, die noch über finanzielle Mittel und Waffen verfügen, sind die Islamisten und
hier insbesondere die Al-Nusra-Front. Es sind vor allem deren Rebellenbrigaden, die
die Grausamkeiten verüben. Es kommt vor allem deswegen zu diesen Spaltungen
innerhalb der Rebellen, weil Teile der Opposition erkennen, dass diese
Terrorbrigaden gar nichts mit der so genannten Oppositionsbewegung zu tun
haben.«
 
Das Massaker in Adra und die jüngsten Bombardierungen in Aleppo zeigen die
Eskalation der Gewalt in dem vom Krieg verheerten Land vor den unter Vermittlung
der Vereinten Nationen (UN) geplanten, aber immer wieder verschobenen
Friedensgesprächen zum Syrienkonflikt, die nun am 22. Januar in Genf stattfinden
sollen. Am Montag rief UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zu einem Waffenstillstand
vor den Gesprächen auf. »Die Feindseligkeiten sollten eingestellt werden, bevor wir
uns in Genf zu einem politischen Dialog zu Syrien zusammensetzen«, sagte er. Mehr
als 100 000 Menschen sind nach UN-Angaben seit Ausbruch des nun schon drei
Jahre andauernden Bürgerkriegs bereits ums Leben gekommen.
Quelle:  http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/redaktion/augenzeugenberichte-
              ueber-massaker-in-der-syrischen-stadt-adra-abgeschlachtet-wie-die-schafe-.html