Denn der gerade 36-jährige Monarch führte umfassende Reformen durch.
Als Erstes löste er den Harem seines verstorbenen Vaters, Hassan II., auf, in
dem neben seiner Mutter auch noch zwanzig gealterte Konkubinen seines
Großvaters lebten.
Dann feuerte er Driss Basri, den verhassten Innenminister, der unter der
Diktatur seines Vaters der Mann fürs Grobe war.
Schließlich lud er den Juden Abraham Serfaty, den bekanntesten Oppositio-
nellen, der 18 Jahre lang im Gefängnis gesessen hatte und dann ins Exil
geschickt worden war, zur Rückkehr nach Marokko ein.
Auch was seine königlich Gemahlin betrifft, traf Mohammed VI. eine unkon-
ventionelle Wahl. Die Braut war eine 24-jährige Informatikerin. Sie steht für ein
modernes, offenes Marokko. Das Bild der jungen, gebildeten und selbstbe-
wussten Frau erschien in allen Illustrierten. Es wurde landesweit als Postkarte
und Plakat verkauft. Ihr langes rötlich gefärbtes Haar trug die "Prinzessin"
unverschleiert – für Islamisten eine Provokation.
Mohammed VI. verprach auch andere überkommene Traditionen zu beseitigen,
und er wollte auch mit der "Moudawwana", der alten Familiengesetzgebung,
aufräumen. Diese verbietet der Frau ohne Einwilligung eines männlichen Be-
schützers, in der Regel des Vaters oder eines Bruders, zu heiraten. Und sie
erlaubt dem Mann, ganz nach seinem Gusto, die Ehefrau mit nur drei ausge-
sprochenen Sätzen rechtsgültig zu verstoßen und den Ehevertrag aufzulösen.
Zudem gestattet sie die Polygamie – selbstredend nur den Männern.
So wurde kurz nach der Thronbesteigung, im Jahr 2000, vom Familienminister
Said Saâdi ein Gesetz zur Reform der Moudawwana ausgearbeitet. Sämtliche
große Parteien stimmten dem Projekt zu – bis auf die islamistische "Partei für
Gerechtigkeit und Entwicklung" (PJD). Diese mobilisierte zusammen mit der
Organisation "al-adl wa-l-ihsan" (Gerechtigkeit und Spiritualität) des alten
Scheichs Jassine die Straße.
So marschierten eine Million Marokkaner – in nach Geschlechtern streng
getrennten Blöcken – gegen eine Reform, die den Frauen Gleichberechtigung
versprach. Nach dieser Machtdemonstration ließen sämtliche Parteien – und
auch der König – das Vorhaben eingeschüchtert fallen.
Aber drei Jahre später konnte der König dann doch noch die Reform umsetzen.
Am 16.Mai 2003 sprengten sich in Casablanca an fünf verschiedenen Stellen
zeitgleich zwölf Selbstmordattentäter in die Luft und rissen 33 Unschuldige mit
in den Tod. Die Marokkaner waren schockiert. Alle Terroristen gehörten der
radikal-islamistischen Gruppe "Assirat al-Mustakim" (Der rechte Weg) an. Die
Medien und das Parlament bezichtigten die PJD der moralischen Mitverant-
wortung. Nie hatte sich diese Partei eindeutig und glaubwürdig von der Gewalt
distanziert.
Nach diesen Attentaten fasste der König neuen Mut und verkündete grimmig
das "Ende der Laschheit". Die große islamistische Partei duckte sich, nach
einer Reihe von Gesprächen mit dem Innenminister lenkte ihre Führung ein ...
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