Quelle: Nelson Mandela, “Der lange Weg zur Freiheit”, 1997,
                S.Fischer Verlag, 1997, 15. Auflage: Mai 2012, S.42 ff.
Das traditionelle Zeremoniell der Beschneidungsschule wurde vom Regenten
hauptsächlich wegen Justice arrangiert – wir anderen, und wir waren insgesamt 26,
waren in erster Linie dort, um ihm Gesellschaft zu leisten. Früh im neuen Jahr reisten
wir zu zwei Grashütten in einem abgelegenen Tal an den Ufern des Mbashe, das
bekannt war alsTyhalarha, der traditionelle Beschneidungsort für Thembu-Könige.
Die Hütten waren klosterartige Unterkünfte, wo wir abseits der Gesellschaft leben
sollten. Es war eine heilige Zeit; ich fühlte mich glücklich und zufrieden, weil ich
teilhatte am Brauch meines Volkes, und war bereit für den Wechsel von der
Jünglingszeit zum Mannesalter. (…)
Am Abend vor der Beschneidung gab es in der Nähe unserer Hütten eine Zeremonie
mit Gesang und Tanz. Aus den nahen Dörfern kamen Frauen, und wir tanzten zu
ihrem Gesang und ihrem Klatschen. Die Musik wurde immer schneller und lauter,
unser Tanzen immer rasender, und für einen Augenblick vergaßen wir, was uns am
nächsten Morgen erwartete.
Am frühen Morgen, als die Sterne noch am Himmel standen, begannen wir unsere
Vorbereitungen. Wir wurden zum Fluß geleitet, um in seinem kalten Wasser zu
baden, ein Ritual, das unsere Reinigung vor der Zeremonie bedeutete. Die
Zeremonie fand um die Mittagszeit statt. Man befahl uns, auf einer Lichtung in
einiger Entfernung vom Fluß in einer Reihe Aufstellung zu nehmen. Wir wurden
beobachtet von einer ganzen Schar von Eltern und Verwandten, unter ihnen auch
der Regent sowie eine Handvoll von Häuptlingen und Beratern. Wir waren nur mit
unseren Wolldecken bekleidet.
Als, mit Trommelgedröhn, die Zeremonie ihren Anfang nehmen sollte, mußten wir
uns auf einer Decke auf den Boden setzen, die Beine nach vorn gestreckt. Ich war
angespannt und bekommen, unsicher, wie ich reagieren würde, wenn der kritische
Augenblick kam. Wir durften weder zusammenzucken noch aufschreien; das galt als
Zeichen von Schwäche und stigmatisierte die Mannbarkeit. Ich wollte mir keine
Schande bereiten, ebensowenig der Gruppe oder meinem Behüter. Die Beschneidung
ist eine Probe in Tapferkeit und Stoizismus; es wird keinerlei Betäubungsmittel
verwendet; ein Mann muß sie schweigend ertragen.
Nach rechts konnte ich, aus den Augenwinkeln heraus, sehen, wie ein dünner,
ältlicher Mann aus einem Zelt trat und vor dem ersten Jungen niederkniete. In der
Zuschauermenge herrschte Erregung, und ich schauderte leicht, weil ich wußte, dass
das Ritual jetzt begann. Der alte Mann war ein berühmter „Ingcibi“, ein
Beschneidungsexperte aus dem Gcalekaland, der sein „Assegai“ benutzen würde,
um uns mit einem einzigen Streich von Knaben in Männer zu verwandeln.
Plötzlich hörte ich, wie der erste Junge ausrief: „Ndiyindoda!“ („Ich bin ein Mann!“)
Man hatte uns beigebracht, dies im Augenblick der Beschneidung zu sagen, und
wenig später hörte ich, wie Justice mit erstickter Stimme den gleichen Satz
hervorstieß. Jetzt blieben noch zwei Jungen, bevor der „Ingcibi“ mich erreichen
würde, doch in meinem Kopf muss wohl Leere geherrscht haben, denn bevor ich mir
dessen recht bewußt war, kniete der Alte vor mir. Ich blickte ihm direkt in die
Augen. Er war blass, und obwohl der Tag kalt war, glänzte sein Gesicht vor Schweiß.
Seine Hände bewegten sich so schnell, dass sie von einer außerweltlichen Macht
kontrolliert zu sein schienen.
Stumm nahm er meine Vorhaut, zog sie nach vorn, und dann schwang in einer
einzigen Bewegung sein „Assegai“ herab. Mir war, als ob Feuer durch meine Adern
schoß; der Schmerz war so intensiv, dass ich mein Kinn gegen die Brust presste.
Viele Sekunden schienen zu vergehen, bevor ich mich an den Ausruf erinnerte; dann
war ich wieder bei mir und rief: „Ndiyindoda!“
Nach unten blickend, sah ich einen perfekten Schnitt, sauber und rund wie ein Ring.
Aber ich gestehe, dass ich Beschämung empfand, weil mir die anderen Jungen so viel
stärker zu sein schienen, als ich es gewesen war; sie hatten die Formel prompter
ausgerufen als ich. Ich war darüber verstört, dass mich der Schmerz, auch wenn nur
für kurze Zeit, handlungsunfähig gemacht hatte, und ich gab mir alle Mühe, die
Qualen zu verbergen, die ich noch immer empfand. Ein Junge mag weinen; ein
Mann verbirgt seinen Schmerz.
Ich hatte jetzt den entscheidenden Schritt im Leben eines Xhosa-Mannes getan. Jetzt
konnte ich heiraten, mein eigenes Heim gründen und meine eigenen Felder pflügen.
Ich konnte jetzt zugelassen werden zu den Ratsversammlungen der Gemeinde;
meine Worte würden ernst genommen werden; ich konnte Entscheidungen
beeinflussen.
Bei dieser Zeremonie gab man mir den Namen Dalibunga, was bedeutet „Gründer
der Bungha“, welche die traditionelle, herrschende Körperschaft der Transkei war.
Für Xhosa-Traditionalisten ist dieser Name akzeptabler als die beiden, die ich zuvor
erhalten hatte, Rolihlahla oder Nelson. Ich war stolz, meinen neuen Namen
ausgesprochen zu hören: Dalibunga.  (…)
Während der nächsten zwei Monate wohnten wir in zwei Hütten – dreizehn Jungen
in der einen, dreizehn in der anderen – und warteten, dass unsere Wunden heilten.
Wenn wir ins Freie gingen, waren wir vollständig in Decken gehüllt, denn während
dieser Zeit durften uns keine Frauen sehen. Es war eine Periode der Stille, eine Art
spiritueller Vorbereitung auf die Prüfungen in unserem zukünftigen Leben als
Männer. Am Tag unseres „Wiedererscheinens“ gingen wir frühmorgens zum Fluss,
um im Wasser des Mbashe den weißen Ocker abzuwaschen. Sobald wir sauber und
trocken waren, wurden wir mit rotem Ocker bestrichen. Laut Tradition sollte ein
Junge mit einer Frau schlafen, die später seine Ehefrau würde, und sie sollte den
Ocker mit ihrem Körper abreiben.  In meinem Fall wurde der Farbstoff jedoch durch
die erste Methode und weniger durch die zweite entfernt.
Initiationsritual