Quelle: Nelson Mandela, “Der lange Weg zur Freiheit”, 1997,
       S.Fischer Verlag, 15. Auflage: Mai 2012, S.17 ff.
In Qunu lebten wir in einem bescheideneren Stil, doch verbrachte ich dort, in jenem
Dorf bei Umtata, einige der glücklichsten Jahre meiner Knabenzeit, auch rühren von
dort meine frühesten Erinnerungen her.
Das Dorf Qunu lag in einem engen grasbewachsenen Tal inmitten von grünen
Hügeln und wurde von einer Reihe von Bächen durchquert. Die Einwohnerschaft
betrug nur wenige hundert Menschen, die in Hütten lebten, bienenstockartigen
Bauten aus Lehmwänden und gewölbten Grasdächern mit Holzpfählen in der Mitte,
auf denen das Dach ruhte. Der Fußboden bestand aus zerstampften Ameisenhaufen,
jender harten Wölbung über einer Ameisenkolonie, und wurde glattgehalten durch
das regelmäßige Einschmieren mit frischen Kuhfladen. Die einzige Öffnung war eine
niedrige Tür, und der Rauch vom Herd entwich durch das Dach.
Die Hütten standen im allgemeinen gruppenweise zusammen in einer Art
Wohnviertel, das ein Stück von den Maisfeldern entfernt lag. Es gab keine Straßen,
sondern nur Trampelpfade durch das Gras, von barfüßigen Kindern und Frauen
getreten. Die Frauen und Kinder trugen in Ocker gefärbte Wolldecken; nur wenige
Christen im Dorf trugen Kleidung westlichen Stils.
Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde grasten auf gemeinsamen Weiden. Das Land um
Qunu war fast gänzlich baumlos, abgesehen von einer Gruppe von Pappeln auf dem
Hügel, der das Dorf beherrschte. Das Land selbst gehörte dem Staat. Bis auf wenige
Ausnahmen waren Afrikaner damals keine Grundbesitzer, sondern Pächter, die der
Regierung alljährlich Pacht zu zahlen hatten.
In dem Gebiet gab es zwei kleine Grundschulen, einen Kaufladen und einen
sogenannten Dipping Tank, in dem das Vieh von Zecken und Krankheiten befreit 
wurde.
Mais (oder was wir Mealies nannten und Leute im Westen Corn), Hirse, Bohnen und
Kürbisse bildeten den Hauptteil unserer Nahrung, nicht weil wir eine angeborene
Vorliebe für diese Dinge gehabt hätten, sondern weil die Leute sich nichts Besseres
leisten konnten. Die reicheren Familien in unserem Dorf ergänzten ihre Nahrung
durch Tee, Kaffee und Zucker, doch für die meisten Menschen in Qunu waren dies
exotische Luxusgüter, die ihre Möglichkeiten weit überstiegen.
Das Wasser, das für die Landwirtschaft sowie zum Kochen und Waschen gebraucht
wurde, musste eimerweise von Bächen und Teichen geholt werden. Dies war
Frauenarbeit, und in der Tat war Qunu ein Dorf der Frauen und Kinder: Die meisten
Männer verbrachten den größeren Teil des Jahres als Arbeiter in den Minen entlang
dem Reef, jenem großen Bergkamm aus goldhaltigem Fels und Schiefer, der die
südliche Begrenzung von Johannesburg bildet. Vielleicht zweimal im Jahr kehrten
sie zurück, und das hauptsächlich, um ihre Felder zu pflügen. Das Hacken, Jäten und
Ernten war Sache der Frauen und Kinder. Im Dorf konnten nur wenige, falls
überhaupt, lesen oder schreiben, und der Gedanke an Bildung war damals noch
vielen fremd.
Meine Mutter war in Qunu für drei Hütten verantwortlich, die, soweit ich mich
erinnern kann, immer voller Babys und Kinder meiner Verwandten waren. In der Tat
kann ich mich kaum an irgendeinen Augenblick erinnern, wo ich allein war. In der
afrikanischen Kultur gelten die Söhne und Töchter der Tanten und Onkel als Brüder
und Schwestern, nicht als Cousins und Cousinen. Wir machten, was unsere
Verwandten betrifft, nicht die gleichen Unterschiede wie die Weißen. Wir haben
keine Halbbrüder. Die Schwester meiner Mutter ist meine Mutter; der Sohn meines
Onkels ist mein Bruder, der Sohn meines Bruders ist mein Sohn.
Von den drei Hütten meiner Mutter wurde eine benutzt zum Kochen, eine zum
Schlafen und eine zum Lagern von Nahrung und anderen Dingen. In der Hütte, in
der wir schliefen, gab es kein Mobiliar im westlichen Sinn. Wir schliefen auf Matten
und saßen auf dem Boden. Kissen lernte ich erst kennen, als ich nach Mqkekezweni
ging. Meine Mutter bereitete die Mahlzeiten in einem dreibeinigen Eisentopf zu, der
über einem offenen Feuer in der Hüttenmitte oder draußen stand.
 Alles, was wir aßen, bauten wir selbst an und bereiteten es selbst zu. Meine Mutter
pflanzte und erntete ihre eigenen Mealies. Mealies wurden geerntet, wenn sie hart
und trocken waren. Sie wurden aufbewahrt in Säcken  oder in Gruben, die ins
Erdreich gegraben wurden.
Zur Zubereitung der Mealies verwandten die Frauen verschiedene Methoden. Sie
zerrieben die Kerne zwischen zwei Steinen, um Brot herzustellen oder sie kochten
die Mealies zuerst, um dann Umphothulo (Mealie-Mehl, das mit saurer Milch
gegessen wurde) oder Umngqusho (Grütze, zuweilen pur oder mit Bohnen
vermischt) herzustellen. Während die Mealies manchmal knapp waren, gab es
überreichlich Milch von unseren Kühen und Ziegen.
Schon in frühem Alter verbrachte ich die meiste Zeit im Freien, auf dem Veld, spielte
und kämpfte mit anderen Jungen. Ein Junge, der sich im Haushalt herumtrieb und
sozusagen an Mutters Schürzenzipfel hing, galt als Muttersöhnchen. Abends teilte
ich mein Essen und meine Wolldecke mit denselben Jungen.