Quelle:  *) Nelson Mandela, “Der lange Weg zur Freiheit”, 1997,
                             S.Fischer Verlag, 15. Auflage: Mai 2012,
In jenem ersten Jahr in Alexandra lernte ich mehr über Armut als während meiner
gesamten Kindheit in Qunu. Ich schien niemals Geld zu haben, und ich schaffte es,
mit geringsten Mitteln zu überleben. Die Anwaltskanzlei zahlte mir zwei Pfund
monatlich und hatte großzügig auf die Prämie verzichtet, die Ausbildungsclerks der
Kanzlei üblicherweise bezahlen.
Von diesen zwei Pfund zahlte ich für meinen Raum bei den Xhomas pro Monat
dreizehn Shilings und vier Pence.
Das billigste Beförderungsmittel von und nach Alexandra war der „Eingeborenen-
bus“ – nur für Afrikaner - , der mit einem Pfund und zehn Pence pro Monat mein
Einkommen erheblich beschnitt.
Außerdem musste ich Gebühren an der University of South Africa entrichten, um
meine Studien beenden zu können.
Ein weiteres Pfund etwa ging für Lebensmittel drauf.
Ein Teil meines Gehalts wurde auf eine noch wichtigere Sache verwandt  - Kerzen.
Denn ohne sie konnte ich nicht studieren. Eine Petroleumlampe konnte ich mir nicht
leisten; Kerzen erlaubten es mir, bis spät in die Nacht zu lesen.
Unvermeidlich fehlten mir jeden Monat mehr als nur ein paar Pence. An vielen
Tagen ging ich morgens die sechs Meilen zur Stadt zu Fuß und abends wieder
zurück, um das Fahrgeld zu sparen.
Oft musste ich mich mit einer winzigen Mahlzeit begnügen und konnte meine
Kleider nicht wechseln. Einmal schenkte mir Mr.Sidelsky, der ungefähr so groß war
wie ich, einen seiner alten Anzüge, und nachdem er gestopft und geflickt war, trug
ich diesen Anzug tagtäglich fast fünf Jahre lang. Am Ende hatte er mehr Flicken als
Anzugsstoff.“(Mandela*, S.111)
Über das Leben in Alexandra schreibt Nelson Mandela folgendes:
„Das Leben in Alexandra war aufregend und gefährlich zugleich. Die Atmosphäre
war voller Leben, es herrschte ein abenteuerlicher Geist, und die Menschen waren
erfindungsreich. Obwohl die Township etliche hübsche Gebäude besaß, konnte man
sie durchaus als Slum bezeichnen, als lebendes Zeugnis für die Vernachlässigung
durch die Behörden.
Die schmutzigen Straßen waren ungepflastert und voller hungriger, unterernährter
Kinder, die halbnackt herumliefen. Die Luft war geschwängert vom Rauch der
Holzkohlenfeuer unter den Blechrosten und in den Herden. Ein einziger Wasserhahn
diente mehreren Häusern. Neben den Straßen lagen Lachen von stinkendem,
stehenden Wasser voller Maden.
 Alexandra wurde „Dunkle Stadt“ genannt, weil es dort keinerlei Elektrizität gab.
Nachts nach Hause zu gehen war gefährlich, denn es gab keine Lichter, und die Stille
wurde zerrissen von Schreien, Gelächter und gelegentlichen Schüssen. Die
Dunkelheit war so anders als in der Transkei, wo sei einen zu umarmen schien.“
(Mandela*, S.110)
Doch trotz allem nahm Alexandra im Herzen von Nelson Mandela einen
besonderen Platz ein:
„Aber trotz der höllischen Aspekte des Lebens in Alexandra war die Township auch
eine Art Himmel. Als eines der wenigen Gebiete des Landes, wo Afrikaner freien
Grundbesitz erwerben und ihren eigenen Angelegenheiten nach gehen konnten, wo
sich die Menschen nicht der Tyrannei weißer städtischer Behörden unterwerfen
mussten, war Alexandra ein urbanes Gelobtes Land, Beweis dafür, dass ein Teil
unserer Leute ihre Bindungen zu ländlichen Gebieten gelöst hatten und dauerhaft
Stadtbewohner geworden waren.
Um die Afrikaner zu bewegen, auf dem Land zu bleiben oder unten in den Minen zu
arbeiten, hatte die Regierung stets behauptet, Afrikaner seien von Natur aus
Landmenschen, ungeeignet für das Stadtleben. Trotz all ihrer Probleme und Mängel
strafte Alexandra diese Behauptung Lügen. Seine Bevölkerung, die allen afrikani-
schen Sprachgruppen entstammte, war an das Stadtleben gut angepasst und
politisch bewusst. Städtisches Leben hatte die Tendenz, ethnische und Stammes-
unterschiede zu verwischen, und statt Xhosas, Sothos, Zulus oder Shangaans waren
wir Alexandrianer. Dies erzeugte ein Gefühl der Solidarität, das bei den weißen
Behörden große Sorge hervorrief. Die Regierung hatte Afrikanern gegenüber stets
die Taktik des Teilens und Herrschens angewandt, und sie brauchte die Stärke
ethnischer Schranken zwischen ihnen. Doch in Orten wie Alexandra schwanden
diese Unterschiede.
Alexandra nimmt in meinem Herzen einen besonderen Platz ein. Obwohl ich später
in Orlando, einem kleinen Viertel von Soweto, weitaus länger wohnte als in
Alexandra, habe ich die Township Alesandra stets als Heimat betrachtet, wo ich kein
besonderes Haus hatte, und Orlando als Ort, wo ich ein Haus hatte, aber keine
Heimat.“ (Mandela*, S.109 ff.)