Schröder kritisiert die EU
Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder warnt davor, das Gipfeltreffen der
G8 in Sotschi abzusagen oder Russland gar aus der Gruppe auszuschließen. Bei
einem Auftritt in der deutschen Botschaft in Paris sagte der Altbundeskanzler:
"Nutzt es wirklich, wenn man sagt, die sollen rausgeschmissen werden aus der G-8-
Konstruktion? Die G 8 ist eine Möglichkeit, die führenden acht Leute in der Welt
zusammenzubringen und miteinander zu reden."
In einer solchen Krise sei "alles, was Diskussionsmöglichkeiten verstellt, nach
meiner Überzeugung nicht richtig. Was soll das bringen, wenn man den Russen sagt:
'Wir schmeißen euch raus.' Anstatt sie in der G 8 zu konfrontieren mit dem, was sie
tun?", fragte Schröder. Es sei nun wichtig, dass beide Seiten wieder ins Gespräch
kämen, um eine Eskalation der Krise zu vermeiden.
"Man darf kein Öl ins Feuer gießen", meinte der ehemalige Bundeskanzler und
erklärte: "Das bedeutet, dass man sich überlegen muss: Wer kann jetzt was öffentlich
sagen." Gerhard Schröder schien dabei unmissverständlich überzeugt, dass speziell
er nichts öffentlich gegen Wladimir Putin sagen sollte. Zum kritischen Dialog böte
ein Forum wie der G-8-Gipfel durchaus die Möglichkeit.
OSZE als Vermittler besser geeignet
Eine persönliche Vermittlertätigkeit, wie sie inzwischen auch die CDU-
Vizevorsitzende Julia Klöckner fordert, lehnt der Altkanzler ab: "Es braucht eine
Struktur und keinen Vermittler, jedenfalls nicht mich, denn eine solche Aufgabe
kann ein Einzelner nicht leisten." Organisationen wie die OSZE – der sowohl
Russland als auch die Ukraine angehören – seien dafür besser aufgestellt.
Gerhard Schröder äußerte sich bei einem Mittagessen mit Politikern, Diplomaten
und Journalisten in der Residenz der deutschen Botschafterin in Paris. Der Termin
war lange vor dem Ausbruch der Krise in der Ukraine und der De-facto-Besetzung
der Halbinsel Krim durch russische Truppen ausgehandelt worden. Eigentlich sollte
es in Schröders Rede und der folgenden Fragerunde vor allem um
"Herausforderungen für Europa" und das deutsch-französische Verhältnis gehen,
doch die brisante Lage in der Ukraine und das persönliche Verhältnis des Altkanzlers
zum russischen Präsidenten Wladimir Putin hatten die Geschäftsgrundlage
verändert.
Das spürte auch Schröder, politisch gewohnt instinktsicher, und schickte seinem
Referat zur Zukunft Europas einige einleitende Bemerkungen zur Ukraine voraus.
Was man von Schröder dabei nicht hörte, war ein kritisches Wort zu Wladimir Putin
oder zum russischen Vorgehen in der Ukraine im Allgemeinen und auf der Krim im
Besonderen. Stattdessen kritisierte Schröder die Verhandlungsführung der EU beim
letztlich geplatzten Kooperationsabkommen mit der Ukraine. Der 69-Jährige tadelte
zudem indirekt Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der die russischen
Truppenbewegungen auf der Krim als "Bedrohung für den Frieden und die
Sicherheit in Europa" bezeichnet hatte.
Schröder sieht Nato als Störfaktor
"Die Nato", so Schröder, "hat in der derzeitigen Lage keine Funktion, schon gar keine
politische. Warum gibt es ständig Diskussionen von dort? Das schafft nicht
Vertrauen, das schafft das Gegenteil." Politische Institutionen könnten helfen, "die
Nato aber weniger, weil sie nicht mehr Vertrauen, sondern eher mehr Ängste
schafft". Die Ängste der Ukrainer, die momentan eher von russischen
Truppenbewegungen beunruhigt sind, erwähnte Schröder nicht.
Darüber hinaus stellte Schröder infrage, dass Sanktionen gegenüber Russland eine
geeignete Maßnahme sein könnten. Schröder sagte, bei der Ukraine handele es sich
um ein Land, das "souverän ist und bleiben muss", das aber "kulturell gespalten sei"
und in eher europafreundliche und eher russlandfreundliche Bevölkerungsteile
zerfalle. Nach seinem Eindruck hat "die Europäische Union auf diesen Sachstand zu
wenig Rücksicht genommen".
Ein derart gespaltenes Land vor die Alternative zu stellen, ob "sie einen
Assoziierungsvertrag mit der europäischen Union wollen oder der von Russland
angeführten Zollunion beitreten wollen, das halte ich für einen Fehler", betonte
Schröder. "Das Entweder-oder, vor das man die Ukraine gestellt hat, konnte nicht
gut gehen, weil das Land gespalten ist." Man würde daher gut daran tun, noch
einmal "an den Beginn der Krise zurückzugehen".
Möglicherweise gebe es eine Chance "durch Vermittlungsbemühungen der OSZE,
vielleicht auch der Vereinten Nationen, das aufzuarbeiten, was falsch gelaufen ist",
und eine diplomatische Lösung zu finden, welche die Einheit der Ukraine erhalte,
aber die Interessen jenes Teils des Landes berücksichtige, der sich mehr Russland
verbunden fühle.
Übereinstimmung mit der Bundesregierung
Der Altkanzler drückte aber seine Hoffnung aus, dass die "Bemühungen, die nun
begonnen wurden, zu Erfolg führen werden". Ausdrücklich erwähnte Schröder das
Telefonat der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Wladimir Putin, in dem dieser
dem Anschein nach der Einsetzung einer "fact finding mission" zugestimmt habe:
"Es gibt doch aus dem, was aus den Telefonaten zwischen Frau Merkel und Herrn
Putin berichtet wird, auch den Hinweis, dass Herr Putin gemeint hat, dass das ein
Vorschlag sei, den man erwägen könne. An dem Punkt rate ich weiterzuarbeiten, das
ist ja auch die Position der Bundesregierung."
Schröder lobte außerdem ausdrücklich das Konzept, das Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier vorgelegt habe. Das sehe ebenfalls vor, "kein Öl ins Feuer
zu gießen" und auf eine diplomatische Lösung hinzuarbeiten. "Wenn man
Schlimmeres verhindern will – und niemand kann doch ernsthaft darüber
nachdenken, dass man die Situation interventionistisch lösen könnte –, dann hat
man nur die Möglichkeit, eine Struktur zu schaffen, in der miteinander geredet
wird", sagte Schröder. Diese Struktur sei vor allem die OSZE.
Die Frage "Wie weit wird Putin gehen?" wollte Schröder nicht beantworten: "Ich
kann's Ihnen nicht sagen. Deshalb habe ich ja deutlich gemacht, dass wir einen
Prozess brauchen, der verhindert, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt."
Von Sascha Lehnartz, Paris
Quelle: http://www.welt.de/politik/deutschland/article125397311/Schroeder-kritisiert-die-
EU-und-schweigt-zu-Putin.html
Auch der österr.Ostexperte Erhard Busek appelliert an EU und USA, den Dialog
mit Wladimir Putin zu suchen: