In der Klagemauer steckte er einen Zettel mit einer Vergebungsbitte ,
„dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes“. Das
Jahr 2000, so war es in „Tertio Millennio Adveniente“ angekündigt,
sollte ein Jahr sein der Aufrichtigkeit, der Buße, des Bekenntnisses.
Deshalb stimmte Johannes Paul II. am ersten Fastensonntag das große
Mea Culpa an – ein kirchengeschichtliches Novum. In des Papstes
eigenen Worten bat die Kirche Gott um Vergebung für jene Söhne und
Töchter, die sich in der Vergangenheit als intolerant erwiesen haben,
stolz und hasserfüllt, als feindlich und gewalttätig gegenüber den
Angehörigen anderer Religionen, als diskriminierend. „Sünden gegen
die Einheit des Leibes Christi“ wurden ebenso eingestanden wie die
Schuld „im Verhältnis zu Israel“.
Der tiefe Ernst, in dem sich die jeweils in eine „Kyrie eleison“
mündende Zeremonie vollzog, und der persönliche Duktus dieser
Bekenntnisse in Gebetsform ließen keinen Zweifel: Hier war ein
zentrales Anliegen des Karol Wojtyla berührt, hier schlug das Herz des
Pontifikats.
„Du Christus“, sprach der Papst in der Christmette, „Du
Christus, Sohn des lebendigen Gottes, sei für uns die Tür!
Sei für uns die wahre Tür, dargestellt von jener Tür, die wie
in dieser Nacht feierlich geöffnet haben! Sei für uns die Tür,
die uns ins Geheimnis des Vaters einführt. Gib, dass
niemand ausgeschlossen bleibt, wenn der Vater seine
erbarmenden Hände zum Friedensgruß ausbreitet! Christus
ist unser einziger Retter!“
Im März brach Papst Johannes Paul II. auf zur einwöchigen
Jubiläumspilgerreise in das Heilige Land.
In Yad Vashem versicherte er „dem jüdischen Volk, dass die Katholische
Kirche (…) zutiefst betrübt ist über den Hass, die Taten von Verfolgungen
und die antisemitischen Ausschreitungen von Christen gegen die Juden, zu
welcher Zeit und an welchem Ort auch immer. (….) Lasst uns eine neue
Zukunft aufbauen, in der es keine antijüdischen Gefühle seitens der
Christen und keine antichristlichen Empfindungen seitens der Juden mehr
geben wird.“ (…)
Und dann war der 24. Dezember 1999 gekommen – der
Tag, auf den das Pontifikat von Beginn an sich zubewegt
hatte. Johannes Paul II öffnete die Heilige Pforte am
Petersdorm. Dachte er dabei an die „Pforte Christi“, auf
die er in Zeiten des Krieges und der Besatzung alle
Hoffnung gesetzt hatte? Das war 59 Jahre her.
Das große Schuldbekenntnis
Lass jeden von uns zur Einsicht gelangen, dass auch Menschen der
Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihren notwendigen
Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückge-
griffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen. (…) In manchen
Zeiten der Kirche haben die Christen bisweilen Methoden der
Intoleranz zugelassen. (…)
Am Abend vor seinem Leiden hat dein Sohn dafür gebetet, dass die
Gläubigen in ihm eins seien: Doch sie haben deinem Willen nicht
entsprochen. Gegensätze und Spaltungen haben sie geschaffen. Sie
haben einander verurteilt und bekämpft. (…) Lass sie (die Christen) die
Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des
Bundes und der Seligpreisungen begangen haben. (…) Wir sind zutiefst
betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine
Söhne und Töchter leiden ließen. (…)
Manchmal haben sie (die Christen) sich leiten lassen von Stolz und
Hass, vom Willen, andere zu beherrschen, von der Feindschaft
gegenüber den Anhängern anderer Religionen und den
gesellschaftlichen Gruppen, die schwächer waren als sie, wie etwa den
Einwanderern und den Zigeunern. (…) Oft haben die Christen das
Evangelium verleugnet und der Logik der Gewalt nachgegeben. Die
Rechte von Stämmen und Völkern haben sie verletzt, deren Kulturen
und religiöse Traditionen verachtet. (…)
Lasst uns beten für die Frauen, die allzu oft erniedrigt und ausgegrenzt
wurden. Wir gestehen ein, dass auch Christen in mancher Art Schuld
auf sich geladen haben, um sich Menschen gefügig zu machen. (…)
Mitunter wurde die gleiche Würde deiner Kinder nicht erkannt. Auch
die Christen haben sich schuldig gemacht, indem sie Menschen aus-
grenzten und ihnen Zugänge verwehrten. Sie haben Diskriminierungen
zugelassen aufgrund von unterschiedlicher Rasse und Hautfarbe. (…)
Lasset uns auch beten für alle Menschen auf der Erde, besonders für die
Minderjährigen, die missbraucht wurden, für die Armen, Ausgegrenzten
und Letzten. (…) Wie oft haben dich auch die Christen nicht wiederer-
kannt in den Hungernden, Dürstenden und Nackten, in den Verfolgten
und Gefangenen, in den gerade am Anfang ihrer Existenz schutzlos
Ausgelieferten. Für all jene, die Unrecht getan haben, indem sie auf
Reichtum und Macht setzten und die „Kleinen“ verachteten, die dir so
am Herzen liegen, bitten um Vergebung.