Griechische Neonazis und die Kultur der Intoleranz
„Wir glauben an Großgriechenland, wir glauben an das griechische Imper-
ium“, schreit ein kleiner, dicklicher Mann in die Menge. Es ist Nikolaos
Michaloliakos, der Vorsitzende der Partei Chrysi Avgi, der Goldenen Morgen-
röte. „Wir werden die Flamme leuchten lassen bis zum endgültigen Sieg“.
In einer anderen Rede am 7. Juni 2012 tönte er: „Lassen Sie mich sagen, ich
bin pro Junta. Das Land blühte unter Georgios Papadopoulos (Diktator in der
Militärjunta). Die Zahlen lügen nicht. Null Schulden haben die sogenannten
Verräter, Betrüger, militärischen faschistischen Führer hinterlassen. Ich will
klar sagen: Dieses Land wurde nie durch Wahlen gerettet. Niemals, niemals in
seiner Geschichte. Mich interessiert nicht, wenn sie uns Nationalisten, Faschis-
ten oder was auch immer nennen.“
Und dann marschieren sie weiter. Tausende schwarz gekleideter Glatzköpfe,
mit Fackeln und der griechischen Flagge in den Händen, laufen zum Syntagma-
Platz am Parlament vorbei.
Ohne dass es im restlichen Europa besonders zur Kenntnis genommen wurde,
überfielen am 10. Juli 2013 in der Athener Randgemeinde Iliopoli 100 Personen
die freie soziale Einrichtung Synergio. Die Schläger kamen mit Motorrädern
und trugen T-Shirts mit dem Schriftzug Chrysi Avgi. Sie griffen eine Gruppe
Kinder an, die gerade gratis Englischunterricht erhielt, und zerstörten dann
mit Knüppeln und Eisenstangen die Institution. Es war das dritte Mal inner-
halb weniger Monate, dass Synergio von Rechtsradikalen überfallen wurde,
und das dritte Mal, dass die Polizei nicht zur Hilfe kam. Die Regierung in
Athen kümmert das überhaupt nicht – ebenso wenig wie bei ähnlichen Vor-
fällen in den letzten beiden Jahren.
„Die Einrichtungen funktionieren nicht, aber wir funktionieren“, prahlte in
aller Öffentlichkeit ein Mitglied der Goldenen Morgenröte gegenüber den
Dokumentarfilmern Guy Smallmann und Kate Mara. „Wir werden sie zu Seife
verarbeiten, die Öfen sind da“, sagte er und streichelte dabei liebevoll seinen
schwarzen Schäferhund. „Wenn die Immigranten uns verlassen, haben wir
Geld, um die Löhne zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit zu eliminieren“, argu-
mentierte sein neben ihm sitzender Freund in schlichter Einfalt.
Ein Journalist, der jahrelang über diese Partei recherchiert hat, sagt über die
Goldene Morgenröte zu Jürgen Roth: „Es ist eine Organisation, die Naziideale
kopiert. Sie setzt Gewalt als eine Methode ihrer politischen Aktion ein. Es ist
eine kriminelle Bande.“
Die rechtsradikale Partei unterhält zudem gute Beziehungen nach Deutschland.
Im Mai 2005 beteiligte sie sich in Berlin an einer Versammlung der rechtsradi-
kalen NPD. Acht Jahre später später meldete die britische Tageszeitung The
Guardian, dass die Goldene Morgenröte sich international ausbreite und Büros
in Deutschland eröffnet habe. „Der Sprecher der Partei sagte, dass sie sich
entschieden haben, dort Zellen zu bilden, wo immer es Griechen gibt.“
Die Goldene Morgenröte versteht sich nicht nur als parallele Ordnungsmacht
in griechischen Städten, sondern gleichzeitiig als soziale Hilfsorganisation. Sie
vergleicht sich selbst mit der Hisbollah: Parteimitglieder versorgen die Men-
schen mit Lebensmitteln, spenden Blut, geben privaten Schulunterricht – aber
nur demjenigen, der einen griechischen Pass besitzt.
So konnte man auf der Webseite der Partei zum Beispiel lesen: „Während alle
Parlamentsmitglieder ihr Geld für den Kauf von Villen und Swimmingspools
einsetzen, benutzen es unsere Parlamentarier, um Lebensmittel für die
hungernden Griechen zu kaufen.“
Nils Muiznieks ist Menschenrechtskommissar des Europarates. Er äußerte
große Bedenken über den Einfluss der Goldenen Morgenröte in den Schulen.
„Bekannt ist, dass die Neonazis ihre neuen Mitglieder über die sozialen Medien
werben, über Sportveranstaltungen, Musikklubs und mit einer unberbittlichen
Anti-Europapolitik.
Fanatischer Nationalismus bis hin zum faschistischen Terror, geschürt von
konservativen Brandstiftern, die sich als Patrioten ausgeben, das ist in Europa
nichts Neues. Denn die katastrophale soziale Krise, verbunden mit dem offen-
sichtlichen Versagen der politischen Elite sowie der Korruption, zerstörte nicht
nur in Griechenland das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Staat.
Das führte dazu, dass auf der einen Seite die Repressionen gegenüber den Bür-
gern zunehmen, die mit Generalstreiks, Protestmärschen und der Besetzung
öffentlicher Plätze gegen die radikale Sparpolitik demonstrieren. Die Polizei
geht mit exzessiver Gewalt, mit Tränengas, Misshandlungen und ungerecht-
fertigten Verhaftungen gegen die Demonstranten vor.
Auf der anderen Seite steigt die Zustimmung und Unterstützung für nationalis-
tische und rasstische Parteien in vielen vermeintlich gefestigten Demokratien
Europas. Griechenland ist das Fanal. (…)
Die Geisteshaltung der Partei zeigt sich in den Beiträgen des offiziellen Maga-
zins Goldene Morgenröte mit dem Untertitel Nationalsozialistische Zeitschrift.
In zahlreichen Artikeln wurde Adolf Hitler gewürdigt. Der Parteiführer selbst
leugnet, wie alle europäischen Neonazis, die Existenz der Gaskammern und der
Vernichtungslager im Dritten Reich.
Von der parlamentarischen Demokratie halten die Neonazis überhaupt nichts.
So erklärte im November 2012 der Pressesprecher der Partei, der 33-jährige
Elias Kassidiaris: „Wir wollen eigentlich die Sitze im Parlament nicht, wir
wollen sie überhaupt nicht. Aber natürlich nehmen wir die Vorteile der Mit-
gliedschaft in Anspruch. Wir haben jetzt die Erlaubnis, Waffen zu tragen, wir
können nicht mehr sofort verhaftet werden, und es ist für uns ein wenig leich-
ter herumzureisen.“ In einer anderen Rede im Parlament leugnete er den Holo-
caust und zeigte demonstrativ das Symbol seiner Partei, ein abgewandeltes
Hakenkreuz.
Wie sehr die Neonazis bereits als Teil der Gesellschaft in Griechenland aner-
kannt werden, zeigt sich auch daran, dass die griechische Regierung kaum
gegen rechtsextreme Aktionen und Aussagen vorgeht.
Jürgen Roth schreibt dazu: „Abgeordnete beschwerten sich zwar darüber, dass
Parlamentarier der Goldenen Morgenröte selbst während der Parlaments-
debatte Waffen trugen - aber Reaktionen seitens der Regierung gab es keine.
Und im griechischen Parlament selbst stießen die Hetztiraden der Neonazis bei
anderen Abgeordneten oder dem Premierminister Samaras nicht auf besonders
große Empörung. Auch nicht, als die Ehefrau des Neonaziführers, die Abge-
ordnete Eleni Zaroulia, die Migranten in Griechenland als „Menschen-
ähnliche“ bezeichnete, „die unser Land besiedelt haben mit allen möglichen
ansteckenden Krankheiten“. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Anlass, sie
wegen Volksverhetzung anzuklagen.“ (S.177)
Eleni Zaroulia ist übrigens auch Mitglied der parlamentarischen Versammlung
des Europarats, und zwar im Ausschuss für Gleichheit und Antidiskriminier-
ung. Als europäische Abgeordnete wegen ihrer Rede im griechischen Parla-
ment ihren Ausschluss forderten, lehnte das der französische Präsident der
Parlamentarierversammlung brüsk ab.
Auch als im September 2012 die Kommission für Menschenrechte des Europa-
rat einen offenen Brief (unterzeichnet von 12.000 griechischen Bürgern) be-
kam, in dem über den massiven Anstieg der rassistischen Gewalt insbesondere
durch Mitglieder der Goldenen Morgenröte geklagt wurde und um die Hilfe
der europäischen Demokraten gebeten wurde, blieb eine Reaktion seitens der
Kommission aus ….
Es gibt übrigens begründeten Verdacht, dass die Neonazis in Griechenland
Helfershelfer im Staatsapparat, in der Justiz und bei der Polizei haben.
Jürgen Roth schreibt dazu: „Grichische Medien veröffentlichten vertrauliche
Dokumente, die bewiesen, dass die Polizei Mitglieder der Goldenen Morgenröte
bei Demonstrationen mit Sprechfunk und Knüppeln ausgerüstet hatten, ver-
bunden mit dem Auftrag, gegen Linke und Anarchisten vorzugehen. Aus diesen
Unterlagen ging zudem hervor, dass Angehörige der Goldenen Morgenröte ille-
gal Pistolen trugen, die sie von Abgeordneten erhalten hatten und zwar von der
Regierungspartei ND. (…)
Dimitirs Katsaris ist ein bekannter griechischer Rechtsanwalt, der Opposi-
tionelle der linken Bewegung und Immigranten vertritt und die Verhältnisse in
den Polizeirevieren entsprechend gut kennt. „Als ich dorthin kam, war ich ent-
setzt von den Misshandlungen, die ich sah. Sie schlagen sie, benutzen sie als
Aschenbecher. Von 15 Verhafteten hörten wir, dass die Polizisten, die ihnen das
alles angetan haben, offen erklärten, Mitglieder der Goldenen Morgenröte zu
sein. Das Schlimmste sei gewesen, dass andere Polizisten mit ihren Mobiltele-
fonen das alles gefilmt und diese Videos an die Goldene Morgenröte weiterge-
geben haben. (…) Das ist nicht die Art der Polizeibrutalität, die man von
jedem europäischen Land kennt. Das geschieht täglich. Wir haben Fotos, wir
haben Beweise, was den Leuten angetan wurde, die gegen die Neonazipartei
protestierten. Das ist das neue Gesicht der Polizei in Zusammenarbeit mit der
Justiz.“
Ein griechischer Journalist, der sich intensiv mit der Geschichte der Neonazis
beschäftigt hat, aber aus Angst nicht mit seinem Namen zitiert werden wollte,
sagte: „Wir haben es hier mit einem Staat zu tun, der in klarer Kontinuität zu
einem totalitären Regime steht. Wir dürfen nicht vergessen, dass in Griechen-
land die Diktatur 1974 offiziell endete. Doch bei der Polizei wurde nie wirklich
aufgeräumt.“
Für die kritischen Griechen ist es unbestritten, dass die Neonazis seit Jahren
enge Verbindungen zur orthodoxen Kirche, zu Angehörigen der Armee, der
Justiz, Polizei und hochrangigen Richtern pflegen, die ihre Ansichten teilen
und sie unterstützen. Die Goldene Morgenröte sei die Fortsetzung der Main-
streampolitik mit anderen Mitteln, kritisieren viele Oppositionelle des herr-
schenden Systems. Die rassistische Gewalt nahm in den letzen Jahren jeden-
falls lawinenartig zu. (S.181ff.)
Der EU-Kommission dürfte das übrigens gut bekannt sein. In einem Interview
mit der Zeitung Ta Nea erklärte EU Menschenrechtskommissar Nils Muiz-
niekslaut Jürgen Roth nach einem Besuch Ende Jänner 2013 in Griechenland:
„Es gibt starke Anzeichen für Verbindungen zwischen der griechischen Polizei
und der Goldenen Morgenröte.“ Opfer rassistischer Gewalt hatten ihm be-
richtet, wie die gleichen Polizisten, die sie am Vormittag gedemütigt hatten, am
Abend mit den T-Shirts der Partei zurückkamen. Die Mitarbeiterin einer Hilfs-
organisation für Migranten machte ähnliche Erfahrungen: „Immer wenn so ein
Angriff passiert, ist irgendwo ein Polizist in der Nähe. Aber sie tun so, als ob sie
nichts sehen würden. Sie machen gar nichts, unterhalten sich, schauen zu.“
Alexander Theodoridis von der Hilfsorganisation Boroume sieht einen Grund
darin, dass die Griechen viel rassistischer als die Deutschen sind. „Die meisten
nennen es Nationalismus. Die Rechtsradikalen sind Menschen, die schon früher
rassistisch waren, aber im großen Pool der Regierungspartei ND aufgingen.
Durch die soziale Krise haben die beiden großen Parteien jedoch viel Ver-
trauen verloren. Diese Gangster verkörpern daher heute die Wut auch ganz
normaler Menschen. Auf dem Markt sagte mir ein 65-jähriger Vater: „Natür-
lich werde ich die Morgenröte wählen. Wenn die ins Parlament gehen, werden
die denen dort auf die Schnauze hauen.“ (S.182)