Vatikanexperte Andreas Englisch schreibt dazu in seinem kürzlich erschienen Buch
über den neuen Papst:
“Die erste große Enttäuschung im Leben des Jorge Mario Bergoglio ist die
Wandlung des verehrten Juan Domingo Perón. Der Präsident, der sich so
wirkungsvoll für soziale Verbesserungen in Argentinien eingesetzt hat,
wendet sich immer mehr gegen die Kirche. Bergoglio ist 19 Jahre alt und an
der Universität in Buenos Aires eingeschrieben, um Chemie zu studieren, als
es zum Staatsstreich gegen Perón kommt. Während dieser am 16. Juni 1955
vor Tausenden von Anhängern spricht, greifen Kampfjets an und werfen
Bomben ab. 364 Menschen werden im Stadtzentrum von Buenos Aires auf
der Plaza de Mayo getötet. Der Student Bergoglio, der in einer katholischen
Familie aufgewachsen ist und Mitglied der Partei Peróns wurde, muss
erleben, dass Peróns Anhänger elf Kirchen in Buenos Aires, darunter die
Kathedrale, plündern und in Brand stecken. Schon einen Tag vorher hatte
Papst Pius XII. Perón exkommuniziert. Erst 1963 wird er die
Exkommunizierung aufheben.
Diese Jahre prägen Bergoglio. In Buenos Aires herrscht das Chaos. 1955
übernimmt das Militär die Kontrolle in Argentinien. Die Partei Peróns wird
verboten, der abgesetzte Präsident flieht aus dem Land. Er wird Asyl finden
beim spanischen Diktator Franco.
Für Jorge Mario Bergoglio ist die Enttäuschung über Juan Domingo Perón
ein Einschnitt. Als dieser auf Konfliktkurs mit der Kirche geht, wendet sich
Bergoglio von ihm ab. Bergoglio sucht nach einem anderen Weg für das
gleiche Ziel, das Perón erreichen wollte: soziale Gerechtigkeit. Bergoglio
glaubt, dass dies der Weg Gottes sein kann. Wo in seinem Herzen die
Hoffnung auf eine gerechtere Welt lodert, zieht jetzt Gott ein. War es nicht
ein Mann von Nazareth, der sagte, dass die selig sind, die nach Gerechtigkeit
dürsten?
Die Entscheidung, Priester zu werden, wird  1957 auch durch einen
persönlichen Schicksalsschlag beeinflusst: Jorge Mario Bergoglio erleidet
eine schwere Lungenentzündung. Die Ärzte entschließen sich damals zu
einem aus heutiger Sicht völlig überflüssigen Schritt und entfernen einen Teil
der entzündeten rechten Lunge. Heute hätten ein paar Antibiotika das
Problem gelöst. Ein Priester wird gerufen, der Eingriff ist lebensgefährlich.
Er erklärt dem 21-jährigen, dass es um Leben und Tod geht.
Später wird Jorge Mario Bergoglio darüber sagen: “Ich hatte hohes Fieber
und nahm  meine Mutter in den Arm und fragte sie: “Was passiert mit mir?”
Sie wußte es nicht. Später kam Schwester Dolores zu mir, die mich auf die
Erstkommunion vorbereitet hatte. Sie sagte: “Du erlebst etwas wie Christus.”
Da verstand ich die Bedeutung des Schmerzes.”
Wenn die Weisheit stimmt, dass Not beten lehrt, mag das auf den jungen
Chemiker zugetroffen haben. Die Operation gelingt, und Bergoglio ändert
sein Leben. Seiner  Mutter wird er erklären, dass er Medizin studieren will.
Beim Aufräumen seines Zimmers findet sie lauter theologische Bücher und
stellt Jorge zur Rede. Er erklärt ihr, dass er tatsächlich Arzt werden wolle,
aber Arzt für die Seelen.
An den Tag, an dem er die Entscheidung traf, Priester zu werden, erinnert
sich Bergoglio genau. Es war der 21. September 1957: Er hatte sich mit
Freunden treffen wollen, er hatte mit dem Gedanken gespielt, an diesem Tag
seine Freundin zu bitten, seine Verlobte zu werden. Doch statt zu seinen
Freunden zu fahren, hält er an der Pfarrkirche in seinem Stadtteil Flores an
und empfindet das Bedürfnis, in die Kirche zu gehen, er weiß nicht, warum.
In der Kirche zieht in aus “unerklärlichen Gründen” ein Priester an, den er in
der Kirche dort noch nie gesehen hatte. Er bittet ihn, ihm die Beichte
abzunehmen.
Dieser Priester teilt das Schicksal Bergoglios, auch er kennt die Erfahrung
schwerer Krankheit, er leidet an Leukämie. Ein Jahr später wird er sterben,
aber dieses Zusammentreffen wird Jorge Mario Bergoglio endgültig davon
überzeugen, Priester zu werden. Er glaubt von da an, dass Gott immer
schneller ist als er selbst: Sein Wahlspruch wird: Wenn die Gott suchst, ist es
Gott, der dich als Erster findet.
Am 11. März 1958 tritt er ein in das Priesterseminar Villa Devoto der
Gesellschaft Jesu, er will Jesuit werden. Jetzt folgen die strengen Jahre des
Studiums der Theologie und der Philosophie in Argentinien und Chile.”
Quelle: Andreas Englisch, “Franziskus - Zeichen der Hoffnung”,
              2013 Bertelsmann Verlag, München, S.244 ff.