Auch andere Experten glauben, dass Griechenland eine Art “Testlabor” für
die anderen EU-Länder ist. So zum Beispiel Thorsten Schulten (Referent für
Arbeits- und Tarifpolitik in Europa beim Wirtschafts- und Sozialwissen-
schaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böck-Stiftung). Er sagt,
dass sich „in absehbarer Zeit die mit der Troika gemachten Erfahrungen auf
die EU insgesamt übertragen könnten. Obwohl der EU-Vertrag Kompetenz
der EU im Bereich der Lohnpolitik explizit ausschließt, ist letztere heute ein
fester Bestandteil der europäischen Wirtschaftspolitik geworden.“
Ähnlich sieht das die deutsche Industriegewerkschaft IG Metall und bezieht
sich dabei auf die Situation in Spanien. Der IG-Metall-Vorstand betrachtet
Südeuropa als Testlabor für arbeitnehmerrechtsfreie Zonen. „Die spanische
Regierung nutzt – auch auf Druck von EU-Kommission, IWF und EZB – die
Krise, um Arbeitnehmerrechte abzubauen und die Macht der Gewerkschaft
zu brechen. In den Angriffen auf Arbeitnehmerrechte in Ländern wie
Spanien sehen viele einen Testlauf. Einen Testlauf für ein Europa, in dem
Beschäftigte keine Rechte haben, sonden als Lohnsklaven von Unternehmen
angefordert und abbestellt werden können.“ (S.23ff.)
Auch die Griechin Theodora Oikonomides, die zehn Jahre als Lehrerin in
Afrika für eine humanitäre Einrichtung gearbeitet hatte, glaubt, dass
Griechenland ein Modell für alle anderen europäischen Staaten ist: „(…)
Vielleicht wird dieses Modell nicht in dem Umfang wie bei uns in Griechen-
land in anderen europäischen Ländern umgesetzt, doch als ökonomisches
Modell wird es überall implementiert werden. Es ist ein Modell für weniger
Demokratie, denn dieser aggressive Neoliberalismus ist mit dem Standard
der europäischen Demokratie nicht kompatibel. Das hat nirgendwo in der
Welt funktioniert. Ich habe in Afrika gearbeitet und die Arbeit des IWF
erlebt. Sie konnten ihr Programm nur durchsetzen, weil in den entsprech-
enden Ländern Diktaturen herrschten und sie die Leute erschossen, die
gegen diese neoliberale Politik protestierten.“
Athanasios E.Drougos, Dozent für Verteidigung und Bekämpfung asym-
metrischer Bedrohungen in verschiedenen griechischen Militärakademien,
meint: „Mein Land ist während der letzten vier Jahre ein Testgelände dafür
geworden, wie und ob die Methoden der Sparpakete umgesetzt werden
können“. Er spricht von einem anhaltenden Wirtschaftskrieg gegen
Griechenland: „Die griechischen Politiker sind leider nur Handlanger
verschiedener Interessen des Nordens.“
Das sieht auch Andreas Banoutsos, Direktor der Vereinigung griechischer
Industrieller in Athen so: „Wir haben hier ein System des Nepotismus. Die
reichen Leute wurden seit der Krise reicher, sie profitieren von der Situation.
Ich neige wirklich nicht zu konspirativen Erklärungen. Aber all das, was
geschah, ist in Wirklichkeit keine reale Krise, sondern eine Krise, die durch
eine bestimmte Elite provoziert wurde, um durch die Armut der anderen
Menschen mächtiger und reicher zu werden.“
In der seriösen griechischen Presse, erzählt er dann weiter, werde häufig
über die Theorie geschrieben, dass die politische Führung in Deutschland
besonders eng mit der Elite des westlichen Bankensystems verbunden sei. Es
sei in ihrem Interesse, dass die südlichen europäischen Länder verarmen,
damit dort für besonders niedrige Löhne produziert werden könne, ohne auf
China oder andere asiatische Staaten angewiesen zu sein.“
Und er fährt fort: „ (…) Ich glaube, dass das deutsche Kapital eine Art
Vision von Südeuropa hat: Statt dass die deutschen Konzerne nach China
oder in andere Länder des Fernen Ostens übersiedeln, werden die Bedingun-
gen geschaffen, dass sie hier billig produzieren oder Unternehmen kaufen
können.“