Die Angst vor dem Funken der Gewalt
Zehntausende Menschen wollen heute in Kairo gegen Präsident Mursi protestieren -
friedlich. Doch besorgt blicken die Ägypter in andere Regionen des Landes. Auch dort
gibt es Proteste - und der Funke der Gewalt könnte auch nach Kairo überspringen.
Von Björn Blaschke, ARD-Hörfunkstudio Kairo
Der Tahrir-Platz ist Zentrum der Proteste - wie schon während der Demonstrationen
gegen Ex-Diktator Mubarak.
Es sollen die größten Kundgebungen werden seit den Protesten gegen Hosni
Mubarak, die im Frühjahr 2011 zum Sturz des Diktators führten. So wie damals
versammeln sich auch heute Menschen auf dem Tahrir-Platz, um ihrer Wut auf den
vor einem Jahr vereidigten Präsidenten, Mohammed Mursi, herauszuschreien:
Seit Tagen campieren Mursi-Kritiker auf dem Tahrir-Platz. Freiwillige Ordner
kontrollieren seine Zugänge, um zu verhindern, dass bewaffnete Provokateure auf
den Platz kommen. Auf Spruchbändern haben Demonstranten geschrieben "Kein
Zutritt für Muslim-Brüder", wie auch politische Forderungen: "Mursi - tritt ab!",
oder "Nieder mit der Herrschaft der Islamisten!"
Der Vorwurf: Mursi dient allein den Islamisten
Mehr als 22 Millionen Ägypter haben die Demonstranten angeblich auf ihrer Seite,
also fast ein Viertel des Volkes. Denn die Bewegung "Tamarod" - zu Deutsch: Rebell -
erklärte gestern, dass sie genau so viel Unterschriften gesammelt habe. Die, die
unterzeichnet haben, fordern von Präsident Mursi vorgezogene
Präsidentschaftswahlen. Mursis Kritiker erheben den Vorwurf, der Präsident diene
allein den Interessen der Islamisten. In ihrem Sinne habe er eine Verfassung
durchgepeitscht, die die Freiheits- und Bürgerrechte missachte. Er habe die
Revolution von 2011 verraten und jede demokratische Legitimierung verloren.
"Wir haben alle das Gefühl, dass wir in eine Sackgasse geraten sind und dass das
Land zusammenbrechen wird", sagt Friedensnobelpreisträger Mohammed
ElBaradei, einer der wichtigsten Oppositionsführer. Dies sei aber nicht geschehen,
weil Präsident Mursi zu den Muslim-Brüdern gehöre oder eine bestimmte politische
Partei regiere, sondern weil das Regime kläglich gescheitert sei.
"Das ägyptische Volk hat Mursi gewählt und wird auf die Straße gehen, um zu sagen:
Wir wollen noch mal zur Wahlurne gehen. Wir haben dem Präsidenten einen
Führerschein gegeben, aber er kann nicht Auto fahren", sagte ElBaradei.
Militär beschützt örtliches Gefängnis
Erst am späten Nachmittag sollen die ganz großen Protestzüge losgehen, in Kairo.
Planmäßig. In dem mehr als 20 Millionen Menschen zählenden Großraum der
ägyptischen Hauptstadt können friedlich gesonnene Demonstranten einander aus
dem Weg gehen: Mursi-Gegner, wie auch Mursi-Anhänger, die ebenfalls unterwegs
sind.
Interessant ist, was in anderen Teilen Ägyptens passiert: In Alexandria
beispielsweise, wo vorgestern drei Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen
beiden Lagern starben. Oder in Port Said: Dort soll Militär um das örtliche Gefängnis
aufgezogen sein, um die Befreiung von Aktivisten zu verhindern. Was aber passiert,
wenn in Port Said Mursi-Gegner und Mursi-Anhänger aufeinanderstoßen? Dann
könnte ein Funke auf Kairo überspringen. Das macht die Spannung aus, die derzeit
in Ägypten herrscht.
Ägypter kämpfen für eine Heimat ohne Mursi
tagesthemen 23:20 Uhr, 29.06.2013, Thomas Aders, ARD Kairo
Fünf TV-Stationen droht Sendeverbot
Verstärkt wird diese dadurch, dass die ägyptischen Streitkräfte auch in den Vororten
von Kairo Truppen zusammengezogen haben. Obendrein soll die zuständige Behörde
fünf privaten TV-Stationen, die als Mursi-kritisch gelten, mit einem Sendeverbot
gedroht haben. Das stößt auf heftige Kritik. So sagte der ägyptische Schriftsteller
Alaa al-Aswany: "Die Momente des Zusammenbruchs des Regimes von Mursi
entsprechen denen des Zusammenbruchs von Mubarak: Mursi schließt jetzt TV-
Sender, obwohl er nach den Artikeln seiner verlogenen Verfassung kein Recht dazu
hat. Er kann keinen TV-Sender ohne ein Gerichtsurteil schließen. Das ist
verfassungswidrig. Mursi hat tatsächlich Angst vor diesen Sendern, weil er die
Wahrheit nicht ertragen kann und weil er Verbrechen begeht."
Stand: 30.06.2013 13:26 Uhr
Quelle:  http://www.tagesschau.de/ausland/aegyptenproteste106.html
Präsident Mursi