Der Schamanismus ist die älteste Urreligion der Menschheit. In früheren
Jahrtausenden, wie zum Beispiel bei den Kelten in Europa, war der Schamane/ die
Schamanin der Priester oder die Priesterin  – also der Vermittler zwischen den
Menschen und Gott, zwischen “Diesseits” und “Jenseits“. 
Jemand, der zum Schamanen berufen war, musste sich schon sehr früh einer
speziellen spirituellen Ausbildung unterziehen (die unter anderem auch sexuelle
Enthaltsamkeit und eine gewisse Einsamkeit und soziale Isolation beinhaltete). Ein
Schamane verfügte über übersinnliche Fähigkeiten und konnte in Trance in andere
„Welten“ und Dimensionen reisen, Kontakt mit Verstorbenen/mit den Ahnen,
aufnehmen und Botschaften von Gott oder anderen Geistwesen empfangen.  Und er
war auch gleichzeitig „Arzt“ und „Heiler“. 
Jeder Schamane hat ein spezielles „Krafttier“ und auch einen „geistigen Führer“ in
den jenseitigen Welten (Dimensionen), die ihm zur Seite stehen und ihn bei seinen
Trancereisen führen, helfen und beschützen.
 
Monnica Hackl weist in ihrem Buch „Schamanische Heilung“ auf die vielen Über-
einstimmungen zwischen dem Schamanismus und der christlichen Religion hin:
„Da der Schamanismus die älteste Form ist, in der die Menschheit mit dem
Transzendenten, dem Göttlichen, Kontakt aufnimmt, haben sich auch im christlichen
Brauchtum zahlreiche damit zusammenhängende Symbole bis in unsere Zeit hinein
lebendig gehalten. Wer sich ernsthaft mit diesem Teil der vergleichenden Religions-
und Kunstgeschichte beschäftigt, ist nicht mehr sonderlich darüber erstaunt, wie viele
Ansichten und Praktiken dieser Urreligion noch bei uns angewandt werden, ohne dass
der moderne Mensch sich darüber Gedanken macht.“ (M.H.*, S.279)
So findet sich zum Beispiel die schamanische Vorstellung der Welt, die sich in drei
Welten aufteilt, nämlich der „Oberen Welt“ (entspricht den Jenseits und dem
christlichen „Himmel“), der „Mittleren Welt“ (= Leben auf der Erde, Diesseits) und der
„Unteren Welt“ ( =  „Unterwelt“, christliche „Hölle“) auch in der christlichen Kunst und
in jeder Kirche:
Erstaunliche Übereinstimmungen zwischen
Schamanismus und dem Christentum
 „Allein das Betreten einer romanischen, gotischen oder
barocken Kirche zeigt, dass dem Christentum die Vorstellung
der drei Welten des Schamanismus überhaupt nicht fremd
sind, ganz im Gegenteil. So kann man auf den Altargemälden
genau das sehen: eine dominante Szene in unserer Mittleren
Welt, die sich tatsächlich einmal abgespielt hat; zum Beispiel
die Legende aus der Vita eines Heiligen oder eine Begebenheit,
von der die Bibel berichtet. Unter diesem Bildabschnitt tut sich
die Untere Welt auf. Sie ist bevölkert von Verstorbenen und
meist in der rechten unteren Ecke von Dämonen und Teufeln,
die die Seelen, die Unrecht getan haben, in den Höllenrachen
treiben. Über allem öffnet sich der strahlende Himmel der
Oberen Welt, es erscheinen Engel, Heilige und Selige, nicht
selten auch Gottvater selbst, die von oben die Geschicke der
Menschen betrachten und segnen. Jeder aufmerksame
Beobachter  müsste hier innehalten und sich fragen, welche
Idee hinter solchen Bildern an prominenter Stelle steht. Es ist
das Konzept der drei Welten, das in unserem kollektiven
Unbewussten viel fester verankert ist, als wir gemeinhin für
möglich halten. (M.H.*, S.280)
“So kann man mit wachem Auge in den christlichen Kirchen noch viele anderen
Darstellungen und Geschichten entdecken, die aus schamanischen Vorstellungen
entstanden sind. Wer wundert sich dann noch darüber, dass dort Menschen mit
Tieren abgebildet sind, die es gar nicht gibt? Ein Mann, der von einem geflügelten
Löwen begleitet wird, einem anderen folgt ein geflügelter Stier, dem dritten ein
Adler, beim vierten steht eine Menschengestalt oder ein Engel. Der Eingeweihte
erkennt, dass es sich um die vier Evangelisten handelt, die Männer, die vor 2000
Jahren das Leben und die Worte von Jesus Christus aufgeschrieben haben. Sie sind
von den Tieren der Oberen Welt begleitet, die der Prophet Ezechiel etwa 600 v.Chr.
in seinen Schriften beschrieben hat: Tiere der Kraft!
Auch vielen der Heiligenfiguren, die unseren Ahnen entsprechen, sind
Tiere beigestellt: Korbinian und Gallus ein Bär, Martin eine Gans, Gertrud
eine Ratte, Hieronymus ein Löwe, Meinrad und Oswald ein Rabe, Benno
und Ulrich ein Fisch, Petrus ein Hahn, Hubertus, Ägidius und Eustachius
ein Hirsch. Franziskus ist von Vögel umgeben, denen er von Gott erzählt,
und manchmal hat er den einst wilden Wolf von Gubbio zur Seite, den er
zähmte, indem er mit ihm sprach. Und dann, das mächtigste aller Tiere,
der Drache: Georg und Michael kämpfen mit ihm und Margarete führt ihn
an ihrem Strumpfbande spazieren, während die Heiligte Jungfrau in ihrem
Garten sitzt und sich ein Einhorn an ihre Knie schmiegt. (…..)
Der moderne Mensch hat keinen Blick mehr dafür. Er begibt sich auf
Schamanenseminare, um sein Krafttier zu entdecken, bleibt aber dabei blind für ihre
Darstellungen in der abendländischen christlichen Kultur. So werden ihre uralten
Schätze kaum noch beachtet.” (M.H.*, S.281 ff.)
Und Monnica Hackl weist noch auf eine andere Tatsache hin: das Christentum hat –
obwohl es teilweise auch viele „heidnische“ Heiligtümer zerstört hat -   auf der
anderen Setie auch viele alte heilige Stätten früherer Kulturen (z.B. der Kelten) 
gewürdigt und sie bis in unserer Zeit hinein erhalten, indem es seine eigenen
Kirchen darauf baute. Sie schreibt: „Allein im nächsten Umkreis meines Wohnortes
gibt es mehrere Kirchen, die auf alten keltischen Quellheiligtümern errichtet worden
sind. Und nicht nur das, die Quellen sprudeln direkt im Raum der Kirche hervor.
Eine der bedeutendsten ist St.Wolfgang  am Burghölzl. Die heilige Quelle  befindet
sich direkt unter dem Altar, ein hölzerner Deckel verschließt sie. Hebt  man ihn hoch,
so findet sich eine Schöpfkelle, mit der man das heilige Wasser abfüllen oder zum
Augenaus-waschen schöpfen kann.”  (M.H.*, S.284)
Ein besonders liebliches Beispiel ist die
wunderschön gefasste warme Quelle, über die
im 15. Jahrhundert die gotische Kirche
St.Katharina in Bad Kleinkirchheim gebaut
wurde. Das warme Wasser strömt direkt aus
dem Felsen in den Raum der kleinen Kapelle
und von dort in einem Bächlein den Hügel
hinunter. Die ursprünglichen Bewohner und
später auch die keltische Bevölkerung wussten
nämlich, dass in jeder Quelle eine
Wassernymphe wohnt, die sie verehrten und der
sie Gaben brachten. Ganz im Sinne dieser und
noch früherer Schamanen  ist die Quelle der
Heiligen Katharina immer mit Blüten, die im
Wasser treiben, glitzernden Münzen und Kerzen
geschmückt – und das mitten in Europa und
mitten in unserer Zeit.    (M.H.*, S. 285)
“Wie arm mutet es dagegen doch an, dass der Schweizer Reformator Zwingli den
Schwefelbrunnen vor der Wasserkirche in Zürich zuschütten ließ, in dessen
heilkräftigen Wasser die Menschen ihre schmerzenden Glieder wuschen. Solche
magischen Bräuche wurden damals als Aberglauben gebrandmarkt. Sicher, sie
sangen lustige Lieder dabei, aber das ist nun einmal so, wie jeder Schamane weiß:
Quellennymphen lieben Lieder, Musik und glänzende Gegenstände, daher ist es für
sie das schönste Geschenk etwas vorgesungen und Münzen, Ringe, Spiegel
dargebracht zu bekommen.” (M.H.*, .286)
Christliche Schamanen
Monnica Hackl, die sich auch eingehend mit den Leben und Visionen christlicher
Heiliger und Mystiker beschäftigt hat, weist überdies darauf hin, dass man diese als 
„christliche Schamanen“  bezeichnen könnte, da viele von ihnen - ähnlich einem
modernen Schamanen unserer Zeit – die Fähigkeit besassen, in ihrem Bewußtsein in
andere „Dimensionen“ zu „reisen“ und Visionen vom Jenseits,  von Gott oder
anderen Geistwesen (Engel, Naturgeister etc.)   zu empfangen.
Eine der bekanntesten davon ist wohl Hildegard von Bingen, deren Werke heute
mehr denn je – auch in der „New-Age-Szene“ - Anerkennung und Beachtung finden.
Monnica Hackl schreibt über diese außergewöhnliche christliche Heilige:
„ Sie lebte von 1098 bis1179 als Nonne auf dem Disibodenberg bei Bingen am Rhein.
Das Besondere an ihr ist ihre einzigartige visionäre Begabung. Indem sie ihre
Visionen niederschrieb, entstanden verschiedene Werke über die Entstehung der
Welt, über Pflanzen, Steine und deren Heilkraft, über den menschlichen Körper,
seinen Stoffwechsel und die Entstehung von Krankheiten.(….) Neben dieser
beratenden Tätigkeit widmete sie sich der Aufgabe, kranken Menschen in einen
ganzheitlichen Heilprozess mithilfe der Kräfte von Pflanzen, Steinen und der Musik
einzubinden. In schamanischer Hinsicht ist sie aus folgenden Gründen interessant:
In ihren Visionen ist sie tief in die Welt de Pflanzen- und Steinwesen eingetaucht.
Von dort brachte sie ein einzigartiges Wissen mit in unsere Welt, das sie in ihren
Büchern beschrieben hat. Die Erkentnnisse, die ihr dort geoffenbart wurden, finden
sich in keiner anderen Literatur ihrer Zeit, die sich mit ähnlichen Themen wie der
Phytotherapie beschäftigte, wieder. Sie hatte sie also tatsächliche aus einer Quelle,
die nur ihr selbst zugänglich war. In der Textkritik der Hildegard-Schriften gilt es als
ein Zeichen der Echtheit, wenn ein Rezept oder eine Verordnung nur bei Hildegard
selbst und nirgendwo anders zu finden ist. Genauso geht es dem Schamanen auf
seinen Reisen, auch er erhält von den Geistern der Pflanzen und Steine ganz
einzigartige Rezepte und Anwendungen, die nirgendwo anders zu finden sind.“
(M.H.*, S. 307 ff.) 
Hildegard von Bingen empfängt eine
göttliche Inspiration und gibt sie an ihren
Schreiber weiter. Miniatur aus dem
Rupertsberger Codex des Liber Scivias
Hl.Franz von Assisi
spricht mit den Vögeln
Hl.Hieronymus mit
    seinem Löwen
Kapelle Sankt Katharina in Bad Kleinkirchheim in den Nockbergen (Kärnten/
Österreich), im Vordergrund sieht man das Bächlein, das den Hügel hinunterfließt
 
*)  Monnica Hackl, “Schamanische Heilung - Therapie an der Wurzel von
     Krankheit und Trauma”, Ansata-Verlag, 2012