P.S: Das Pontifikat Benedikts XVI. begann mit einer Welle der Begeisterung. “Seine Wahl
ist eine gute Nachricht”, lobte sogar der Führer der Post-Kommunisten in Italien. Er habe,
so Massimo D’Alema, “Sympathie für Menschen mit Intellekt und Kultur”. In seinem
ersten Amtsjahr versammelte der neue Papst fast vier Millionen Menschen auf dem
Petersplatz, doppelt so viele wie der Vorgänger im Anfangsjahr. Über drei Millionen Mal
verkaufte sich seine erste Enzyklika allein in Italien. Beim Weltfamilientag im spanischen
Valencia strömte eine Million Menschen zusammen, um mit dem Papst gemeinsam zu beten
und zu feiern. Und der Zuspruch hielt an. “Seit dem Habemus Papam am 19. April in
Rom”, so meldete der Spiegel, “reißt das Wohlwollen in der Öffentlichkeit für Papst Benedikt
XVI. alias Joseph Ratzinger nicht ab.” Hat Sie der Erfolg überrascht oder vielleicht sogar
erschreckt?
Benedikt XVI.: Ja, in einer Hinsicht schon. Aber ich wusste: Das kommt nicht von mir.
Es wurde sichtbar, dass die Kirche lebendig ist. Durch das Leiden von Johannes Paul
II. und seinen Tod war sozusagen die ganze Kirche, ja, die Menschheit betroffen. Wir
erinnern uns alle daran, wie der ganze Petersplatz, wie ganz Rom voller Menschen
war. Damit wurde gewissermaßen ein neues Bewusstsein für Papst und Kirche
geschaffen, das selbstverständlich auch die Frage auslöste: Wer ist der Neue? Wie
kann einer - nach diesem großen Papst - es anpacken, so dass man ihm zuhören, ihn
kennen lernen will?
Es gibt also immer auch den Vorschuss des Neuen, des anderen Stils. Insofern war ich
dankbar und froh, dass es weiterging, dass die Zustimmung blieb. Zugleich war ich
überrascht, dass sie so groß und so lebendig war. Aber mir war auch klar: Dies kommt
aus der inneren Kontinuität mit dem vorangegangenen Pontifikat und aus der
bleibenden Lebendigkeit der Kirche.
P.S.: Vier Jahre lang sind Sie, was eine uralte Formel als feliciter regnans bezeichnet,
glücklich regierend: Der neue Papst erweitert durch Wiederzulassung der tridentinischen
Messe den liturgischen Raum. Er verkündet im Rahmen der Ökumene das Ziel der vollen
Einheit mit der Orthodoxie, dem die Kirche nun so nahe kommt wie seit tausend Jahren nicht
mehr. Er könnte Mitglied bei den Grünen sein mit seiner Haltung gegen Umweltsünder,
Unrecht und Krieg. Er würde gut zur Linken passen, wie er den Turbokapitalismus geißelt,
die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich. Zu spüren ist eine
Revitalisierung der Kirche, ein neues Selbstbewusstsein. Und Ihnen gelingt, was nach einem
Giganten wie Wojtyla niemand für möglich hielt: ein bruchloser Übergang der Pontifikate.
Benedikt XVI.: Das war natürlich ein Geschenk. Geholfen hat, dass alle wussten, dass
Johannes Paul II. mich mochte, dass wir in einem tiefen inneren Einvernehmen
standen. Und dass ich mich ihm gegenüber wirklich auch als Schuldner weiß, der mit
seiner bescheidenen Gestalt weiterzuführen versucht, was Johannes Paul II. als Riese
getan hat.
Natürlich gibt es neben den Dingen, durch die wir Widerspruch hervorrufen und im
Kreuzfeuer der Kritik stehen, immer auch Themen, die der ganzen Welt am Herzen
liegen und von ihr positiv aufgenommen werden. Mein Vorgänger hat als großer
Vorkämpfer für die Menschenrechte, für Frieden, für die Freiheit immer wieder auch
große Zustimmung gefunden. Diese Themen sind geblieben. Der Papst ist gerade
heute dazu verpflichtet, für die Menschenrechte überall einzutreten - als innere Folge
seines Glaubens an die Gottebenbildlichkeit des Menschen und an seine göttliche
Berufung. Er ist dazu verpflichtet, für den Frieden zu kämpfen, gegen Gewalttätigkeit
und gegen die Kriegsdrohungen. Er ist von innen her dazu verpflichtet, dass er um die
Erhaltung der Schöpfung ringt, dass er der Zerstörung der Schöpfung entgegentritt.
So gibt es von Natur aus viele Themen, in denen sozusagen die Moralität der
Modernität liegt. Die Modernität ist ja nicht nur aus Negativem aufgebaut. Wenn dies
der Fall wäre, könnte sie nicht lange bestehen. Sie trägt große moralische Werte in sich,
die gerade auch vom Christentum kommen, die durch das Christentum erst als Werte
in das Bewusstsein der Menschheit gerückt wurden. Wo sie vertreten werden - und sie
müssen vom Papst vertreten werden - , gibt es Zustimmung über weite Bereiche hin.
Darüber freuen wir uns. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es andere
Themen gibt, die Widerspruch erregen.
P.S:: Der liberale Münchner Theologe Eugen Biser zählt Sie in dieser Zeit bereits “zu den
bedeutendsten Päpsten der Geschichte”. Mit Benedikt XVI. beginne eine Kirche, bei der
Christus durch die Einladung zur Gotteserfahrung “in den Herzen der Menschen wohnt”.
Aber plötzlich wendet sich das Blatt. Wir erinnern uns an Ihre Predigt zur Amtseinführung
am 24. April 2005, in der Sie sagten: “Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den
Wölfen fliehe.” Hatten Sie geahnt, dass dieses Pontifikat auch sehr schwierige Strecken für
Sie bereithalten wird?
Benedikt XVI.: Das hatte ich vorausgesetzt. Aber zunächst einmal sollte man mit
Einordnungen eines Papstes, ob er bedeutend oder unbedeutend ist, zu seinen
Lebzeiten immer sehr zurückhaltend sein. Erst später sieht man, welchen Rang etwas
oder jemand in der Geschichte im Ganzen einnimmt. Aber dass es nicht immer bei
heiterer Zustimmung bleiben konnte, war angesichts unserer Weltkonstellation mit all
den großen Zerstörungskräften, die es gibt, mit den Gegensätzen, die in ihr leben, den
Bedrohungen und Irrwegen, offenkundig. Bei ausschließlicher Zustimmung hätte ich
mich ernsthaft fragen müssen, ob ich wirklich das ganze Evangelium verkündige.”
Quelle: Benedikt XVI., “Licht der Welt - Der Papst, die Kirche und die Zeichen der
Zeit”, ein Gespräch mit Peter Seewald, Herder, 2010, S.34 ff.)