Jens Berger schreibt dazu auf “Nachdenkseiten”: Es ist schon paradox –
während wir pausenlos über das Thema “Flüchtlinge” sprechen, schweigen
wir lieber zu den Fluchtursachen. Neben Kriegen und politischen Unruhen
spielen vor allem bei den Flüchtlingen aus Schwarzafrika ökonomische Motive
die wichtigste Rolle. Dieser Teilaspekt gerät auch am schnellsten zwischen die
ideologischen Mühlsteine der Diskutanten. Während die Rechte von Wirt-
schaftsflüchtlingen und dem Untergang Europas fabuliert, suchen große Teile
der Linken die Schuld im „Kapitalismus“ und der Ausbeutung Afrikas durch
den weißen Mann. Das ist sicherlich gut gemeint, aber „unterkomplex“ und
führt uns in der Debatte auch nicht weiter. Und es ist wichtig, dass wir diese
Debatte jetzt führen und möglichst schnell zu Ergebnissen kommen, denn die
Uhr tickt unaufhörlich und durch Wegsehen werden wir das Problem nicht
lösen können.”
Fluchtursachen:
Zu den Fluchtursachen schreibt Jens Berger: “Afrikas ökonomisch drama-
tischstes Problem ist die niedrige Produktivität und die damit verbundene
mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, die alle Sektoren betrifft.
Daher können afrikanische Güter und Produkte sich in einem freien und
offenen Markt auch nicht durchsetzen. Trotz niedriger Löhne haben afrikani-
sche Produkte aufgrund der niedrigen Produktivität einen vergleichsweise
hohen Stückkostenpreis. Wenn ein chinesischer Textilhersteller Baumwolle
aus dem Mali importiert und daraus in China ein T-Shirt fertigt, kann er dieses
T-Shirt im Mali günstiger anbieten als ein lokaler Textilproduzent. Wenn er das
T-Shirt dann auch noch in Bangladesch oder Myanmar fertigen lässt, ist die
Preisdifferenz sogar noch höher. Afrika ist aufgrund seiner niedrigen
wirtschaftlichen Produktivität abgehängt.
Von Optimisten wird an dieser Stelle immer wieder gerne auf die “ordent-
lichen” Wirtschaftswachstumsraten Afrikas verwiesen. Doch dieser Eindruck
kann täuschen. Zum Einen verzerren Preisdifferenzen auf den Rohstoffmärkten
natürlich auch die Wirtschaftszahlen von Staaten, die fast ausschließlich Roh-
stoffe exportieren, ohne dass dies eine große Auswirkung auf die ökonomi-
sche Situation der Bevölkerung hätte.
Wenn sich der Ölpreis verdoppelt, jubeln natürlich Angolas korrupte Eliten, die
nun noch mehr SUVs aus Deutschland, iPhones aus den USA oder Champag-
ner aus Frankreich bestellen können. Das Volk hat von dieser Form des Wirt-
schaftswachstums aber nur sehr wenig. Doch selbst wenn man diesen Effekt
herausrechnet, sind die vermeldeten positiven Zahlen oft wenig aussage-
kräftig.
Die demografische Falle
Nehmen wir Uganda als Beispiel. Der zentralafrikanische Staat wies in den
letzten Jahren ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 3,5% aus – das
ist übrigens nur halb so viel, wie für ein qualitatives Wachstum nötig wäre.
Gleichzeitig wuchs jedoch die ugandische Bevölkerung im Schnitt ebenfalls
um 3,5%. Das Mini-Wirtschaftswachstum wird also durch das Bevölkerungs-
wachstum komplett aufgezehrt, so dass unter dem Strich nur mehr ein Null-
wachstum bleibt.
Doch es kommt noch schlimmer, als diese statistischen Zahlen vermuten
lassen. Im Land mit seinen 37 Millionen Einwohnern werden pro Jahr 1,6
Millionen Kinder geboren – zum Vergleich: das mehr als doppelt so bevölker-
ungsreiche Deutschland kommt auf 785.000 Geburten pro Jahr.
Dank Impfprogrammen, Entwicklungshilfe und medizinischem Fortschritt hat
sich die Kindersterblichkeit in Uganda alleine in den letzten zehn Jahren hal-
biert. Die Folge: Jedes Jahr drängen mehr und mehr Schüler und Studenten in
die Schulen und Unis und immer mehr Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt; viel
zu viel, um versorgt zu werden.
Selbst stattliche Investitionen in das Bildungssystem werden vom schieren
Nachschub an neuen Schülern aufgezehrt, die Wirtschaft kann gar nicht so
schnell wachsen, um allen Schulabgängern einen Job zu bieten; schon gar
nicht einen qualifizierten Job.
Da kommt es, wie es kommen muss: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in
Uganda momentan bei sagenhaften 80%. Jährlich verlassen dort 40.000 Men-
schen die Universitäten des Landes und kämpfen dann um 8.000 freie Jobs für
Jungakademiker.
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, wohin diese Entwicklung führt –
zu Krieg oder zu Massenmigration.
Und Uganda ist kein Einzelfall. Die Bevölkerung Schwarzafrikas hat sich im
vergangenen Jahrhundert verzehnfacht. Für das laufende Jahrhundert geht die
UN davon aus, dass sich die Gesamtbevölkerung bis 2050 von einer auf rund
zwei Milliarden Menschen verdoppeln wird.
Die zugrundeliegenden Entwicklungen sind ja nicht neu und auch Europa hat
dies durchgemacht. In der vorindustriellen Zeit sind Geburtenraten und Sterb-
lichkeit hoch. Mit der Industrialisierung sinkt – vor allem durch den medizini-
schen Fortschritt – die Sterblichkeit, während die Geburtenziffern nur sehr
langsam zurückgehen.
Während dieser Zeit “explodiert” die Gesamtbevölkerung. Später  sinkt dann
aber auch – vor allem durch Bildung und Sozialsysteme – die Geburtenrate
und am Ende steht die industrialisierte Gesellschaft mit niedriger Geburten-
und Sterberate bei konstanter bis sinkender Bevölkerung.
Afrika genießt momentan die Segnungen moderner Medizin, ohne gleichzeitig
eine Industrialisierung zu beschreiten. Die Sterblichkeit sinkt massiv, während
die Geburtenziffern nur sehr langsam zurückgehen. Gleichzeitig wächst die
Wirtschaft nicht viel schneller als die Bevölkerung und das Bevölkerungs-
wachstum macht die ohnehin zu niedrigen Investitionen in Wirtschaft und
Bildung zunichte.
Und diese tiefschwarze Prognose steht bereits am Ende der “internen” Fak-
toren. Wenn man nun auch noch die “externen” Faktoren, also das ungerechte
Freihandelsregime, die Interessen der Großkonzerne aus den Industrieländern,
den Klimawandel, die Überfischung und und und mit hinzuzählt, bleibt wenig
Raum für Optimismus.
Falsche Hilfe nutzt auch dann nichts, wenn sie gut gemeint ist
Anders als bei den “externen Faktoren” ist bei den “internen Faktoren” auch
für den reichen globalen Norden kaum Handlungsspielraum. Schon aus
humanitären Gründen verbietet sich jegliche Debatte über Geburts- und
Sterblichkeitsraten.
Sind also Krieg und Massenflucht unvermeidlich, wie es Konfliktforscher mit
ihrer Theorie des “youth bulge” (Jugendüberschuss) vorhersagen? Zumindest
wenn es der Weltgemeinschaft (so es sie denn gibt) nicht gelingt, möglichst
schnell das Ruder herumzureißen, muss man hier wohl selbst als chronischer
Optimist seine Zweifel bekommen.
Und um es gleich vorwegzunehmen: Afrika ist kein Jota damit geholfen, wenn
deutsche Linke nun über offene Grenzen philosophieren. Der Kontinent
braucht keinen “Abnehmer” für seine überschüssige Jugend, sondern eine
Perspektive, dieser Jugend eine Chance zu geben und ihre konstruktiven
Kräfte vor Ort freizusetzen. 
Dies festzustellen, hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Wenn dies nicht
gelingt, droht ein Szenario, an dessen Ende entweder “offene Grenzen” oder
eine “Totale Abschirmung” steht, wobei letzteres angesichts der öffentlichen
Meinung wohl wesentlich realistischer ist. Es wäre daher schön, wenn progres-
sive Kräfte bei diesem Thema nicht immer nur an sich selbst, sondern an die-
jenigen denken, um die es geht: die Afrikaner.
Aber wie könnte es denn überhaupt gelingen, einen rückständigen, aber an
Rohstoffen, Menschen, Kreativität und Gestaltungswillen ungemein reichen
Kontinent auf die Spur zu bringen? 
Zu allererst muss Afrika die Freiheit bekommen, sich vom Freihandelssystem
abzukoppeln. Auch Deutschland hing im 19. Jahrhundert hoffnungslos hinter
dem früh industrialisierten England zurück und konnte den Rückstand später
aufholen.
China war 1980 noch ein bitterarmes Entwicklungsland und zählt heute zu den
fortschrittlichsten Industriestaaten der Welt. In beiden Fällen konnten die
Volks-wirtschaften jedoch nur aufschließen, weil sie sich gnadenlos protektio-
nistisch vom Weltmarkt abgekoppelt haben.
Das Freihandelsmantra des “fairen Wettbewerbs unter Gleichberechtigten”
heißt im konkreten Fall, dass ein zehnjähriges Mädchen gegen einen Schwer-
gewichtsweltmeister antreten muss – es kann zwischen Afrika und den fort-
schrittlichen Volkswirtschaften keinen “fairen Wettbewerb unter Gleichberech-
tigten” geben !!
Afrika kann sich nur dann entwickeln, wenn es massive Wettbewerbsvorteile 
bekommt, wenn es seine eigenen Märkte abschotten und gleichzeitig seine
Güter in den globalen Norden zollfrei einführen darf.
Man könnte sogar darüber nachdenken, diese Zollfreiheit nur auf Vor- und
Fertigprodukte, nicht aber auf Rohstoffe anzuwenden, um der Wirtschaft einen
zusätzlichen Anreiz zu geben, in Afrika zu investieren. Denn wichtig ist vor
allem, dass in Afrika möglichst schnell möglichst viele möglichst qualifizierte
Jobs geschaffen werden. Und wenn die sich „im Markt“ selbst refinanzieren
und ihrerseits wirtschaftliche Impulse auslösen, sind wir schon mal ein großes
Stück weiter.
Ein weiteres Problem ist die sogenannte “Entwicklungshilfe”.
Heute wissen wir, dass die traditionelle Entwicklungshilfe eher Schokolade für
einen Zuckerkranken ist und ersatzlos abgeschafft werden muss.
Stattdessen sollte der Norden sein Programm zur Hilfe zur wirtschaftlichen
Zusammen-arbeit massiv ausbauen.
Was spricht beispielsweise dagegen, erfahrene deutsche Ingenieure, die auf-
grund ihres Alters in Deutschland keinen Job mehr bekommen, auf freiwilliger
Basis nach Afrika zu schicken, um dort vor Ort den einheimischen Unterneh-
mern Tipps zu geben, wie man mit seinen Produkten aktiv auf die europäi-
schen Märkte kommt?
Was spricht dagegen, die 0,7% des Bruttoinlandsprodukts der Industrieländer,
die im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele in die Entwicklungshilfe
gehen sollten, stattdessen in einen großen Fördertopf zu überweisen, der
kleinen und mittleren afrikanischen Unternehmen zinslose Darlehen oder gar
Beihilfen für sinnvolle Projekte zur Verfügung stellt?
Vor allem bei digitalen Dienstleistungen, Software- und App-Programmierung
könnten afrikanische Technologie-Cluster mit der richtigen Unterstützung
schon vergleichsweise schnell auch weltweit konkurrenzfähig sein und auf den
lokalen Märkten sind sie ja schon heute die Marktführer.
Die Scheinheiligkeit der gesamten Debatte
An konkreten Beispielen mangelt es nicht. Wichtig ist, dass wir von unserem
hohen Ross herabsteigen und – sicher nicht aus bösem Willen heraus – uns-
erer Fantasie vom “edlen Wilden” hinterherrennen.
Die pittoresken Piroge, mit denen senegalesische Fischer ihren mageren Fang
nach Hause bringen, sind zwar romantisch, stellen aber kein ernsthaftes Mo-
dell für die Zukunft dar.
Es ist der falsche Ansatz, diese Piroge vor den Fangflotten der EU zu schützen,
auch wenn dies unseren Vorstellungen einer „schöneren Welt“ entsprechen
mag. Die Fischer im Senegal wollen keine Schönheit, sondern ihre Familien er-
nähren. Richtiger wäre es daher, die senegalesische Fischerei zu moderni-
sieren und gleichzeitig vor der EU zu schützen.
Ansonsten läuft Afrika dem Rest der Welt nämlich immer hinterher … nur halt
dann unter “Schutzbedingungen”. Aber das sollte ja nicht das Ziel sein.
Den einen großen Gegenentwurf, mit dem Afrika gerettet werden kann, gibt es
nicht; wohl aber zahlreiche kleinere Entwürfe, die in der Summe die große
kommende Katastrophe zwar nicht verhindern, aber zumindest abfedern könn-
ten.
Die Uhr tickt jedoch und jedes Zögern kostet Menschenleben. Wir sollten end-
lich aufhören, dieses Thema als “Migrations-” oder “Flüchtlingsthema” zu be-
greifen.
Denn dies ist nur unsere sehr subjektive Perspektive. Wir sehen die großen
Probleme Afrikas offensichtlich nur in Form kenternder Flüchtlingsboote im
Mittelmeer und überfüllter “Ankerzentren” und polemisieren dann etwas von
Grenzschutz und Flüchtlingsabwehr oder halt offenen Grenzen für alle.
Wollen wir unsere Humanität bewahren, sind diese Positionen aber kaum
durchzuhalten, wenn die Migrationsströme zum Regelfall werden; und das
werden sie, wenn wir nicht vor Ort gegensteuern.
Diese Debatte sollte jedoch nicht um unsere “Angst vor dem schwarzen
Mann”, sondern um Afrika, um Afrikas Perspektiven, um Afrikas Chancen
gehen und daher auch nicht von alten, weißen Männern und Frauen, sondern
von den Betroffenen geführt werden.
Aber wann haben Sie zuletzt einen afri-kanischen Intellektuellen, Ökonomen,
Soziologen oder Migrationsforscher in dieser Debatte gehört? Noch nie?
Da sind Sie nicht allein. Fangen wir also doch erst einmal an, den Betroffenen
zuzuhören und setzen dann alle Mittel in Bewegung, um Afrika zu retten. Tun
wir es nicht, werden wir wohl oder übel in Zukunft noch sehr häufig über
Kriege und Massenflucht debattieren müssen. Aber wer will das schon?
von Jens Berger, 26.7.2018
Quelle und gesamter Artikel: https://www.nachdenkseiten.de/?p=45160
Brennpunkt Afrika - endlich Fluchtursachen
     bekämpfen !!!