Armee-Offensive gegen Islamisten
Nigerias Kampf gegen Boko Haram
Bei einer großangelegten Offensive sind in Nigeria mindestens 20 Menschen ums
Leben gekommen. Die Regierung hat angekündigt, die Islamisten von Boko
Haram zu "vernichten". Doch auch die Soldaten foltern und morden - das spielt
der Sekte in die Hände.
Von Alexander Göbel, ARD-Studio Rabat
Nun soll Schluss sein mit dem Zögern: Nigerias Präsident Goodluck Jonathan zeigt
Härte und blickt bei seiner Fernsehansprache entschlossen in die Kamera. Das
Ausmaß der islamistischen Gewalt im Norden seines Landes erfordere "außer-
gewöhnliche Maßnahmen". Nigeria macht mobil gegen den Terror, der zu einem
regelrechten Aufstand geworden ist.
"Wir werden sie vernichten"
Vor allem im Norden Nigerias kommt es immer wieder wieder zu heftigen Kämpfen
zwischen der Armee und Boko Haram.
Der Präsident will die "Kriegserklärung" von Boko Haram annehmen - es bleibt ihm
auch wenig anderes übrig. "Hiermit verhänge ich den Ausnahmezustand über die
Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa", erklärte der Präsident. "Ich habe die
Stabschefs angewiesen, mehr Truppen zu entsenden. Die Aufständischen und
Terroristen, die unsere Soldaten töten - wir werden sie vernichten, wer sie auch sind,
und wo immer sie sich verstecken."
Schon wieder ein Ausnahmezustand - der letzte vor zwei Jahren hat nichts gebracht.
Doch diesmal, so Jonathan, soll alles anders werden. Mehr als 2000 Soldaten
wurden allein nach Maiduguri in der Provinz Borno verlegt, die Hochburg der
Terrorvereinigung Boko Haram. Augenzeugen berichten von Panzern und
Kampfflugzeugen. Das Militär will sich in jene Regionen im Norden vorkämpfen, die
von den Islamisten kontrolliert werden.
Tanz auf dem Vulkan - Nigerias Kampf gegen Boko Haram
Präsidentensprecher Doyin Okupe geht davon aus, dass man die Aufständischen
komplett ausschalten kann - wenn man kompromisslos vorgeht: "Die blutigen
Ereignisse der letzten Jahre sind absolut inakzeptabel. Was hier geschieht, ist nicht
gut für das Land. Wir erleben, dass in manchen Gebieten fremde Fahnen gehisst
werden, auf nigerianischem Boden. Das ist ein Angriff auf die Souveränität Nigerias
- und das werden wir nicht hinnehmen."
Über 4000 Tote Boko Haram ist für zahlreiche Anschläge verantwortlich, wie hier
auf ein Polizeihauptquartier in der Stadt Kano.
Endlich tut die Regierung etwas - so empfinden es die Befürworter der Offensive.
Denn seit Jahren zieht Boko Haram eine Blutspur durch Nigeria. Die Sekte will die
Scharia einführen und lehnt westliche Bildung ab. Die Opfer der Anschläge, die auf
ihr Konto gehen, werden bislang auf über 4000 geschätzt. Und das Töten geht
weiter, erst vor wenigen Wochen starben mehr als 250 Menschen im Nordosten bei
Bombenattentaten und Schießereien.
Per Videobotschaft verkündete Sektenführer Abubakar Shekau, seine Gruppe habe
nun nigerianische Landsleute als Geiseln genommen - vor allem Frauen und Kinder.
Entführungen im großen Stil sind neu bei Boko Haram. Sie gehören eher zur
Handschrift von Al Kaida, mit denen die Sekte in Verbindung stehen soll.
Verhandlungen haben wenig Aussicht auf Erfolg
Lange hat die Regierung es mit Verhandeln versucht und sich Zeit erkauft - doch mit
seinem Amnestieangebot sei Präsident Jonathan vor die Wand gefahren, meint
Thomas Mättig von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nigeria: "Das heißt, diese Tür ist
völlig zugeschlagen worden. Das hat sicher auch Auswirkungen in der Regierung,
weil das Angebot nicht besonders glaubwürdig war. Aber es gibt eine militärische
Dimension in dem Konflikt, und die müssen sie irgendwie bearbeiten, nur der
bisherige Ansatz - der ist gescheitert."
Nun spitzt die Lage sich immer weiter zu. Denn Boko-Haram-Anhänger, die an der
Seite anderer Dschihadisten im Krieg in Mali gekämpft hatten, kommen zurück ins
Land, mit vielen Waffen und mit viel Erfahrung. Präsident Jonathan steht mit dem
Rücken zur Wand - einerseits muss er robust handeln, das erwarten große Teile der
Bevölkerung von ihm, und das erwartet auch sein Sicherheitsapparat, in dem es
immer wieder gefährlich nach Putsch riecht.
Doch auch die Soldaten sollen Selbstjustiz üben regelmäßig in der Provinz Borno im
Norden des Landes.
Andererseits bringt Jonathan genau mit diesem harten Durchgreifen viele Menschen
im muslimisch geprägten Norden gegen sich auf. "Unschuldige Menschen mussten
sterben - getötet durch die Armee und die Aufständischen", sagt Shehu Sani von der
Zivilgesellschaft in Abuja. Es liegt auf der Hand, dass das Mittel der Gewalt gegen
Boko Haram nicht funktioniert."
Diese Strategie funktioniert wohl auch deshalb nicht, weil Nigerias Armee immer
wieder selbst Schlagzeilen macht mit eklatanten Menschenrechtsverletzungen.
Soldaten üben Selbstjustiz, verhaften, foltern und töten unschuldige Menschen,
brennen tausende Häuser nieder. All das spielt der Terrorsekte Boko Haram in die
Karten.
Nigeria fördert zwar mehr Öl als jeder andere afrikanische Staat, dennoch leidet die
Bevölkerung unter massiver Armut. Offenbar schließen sich viele radikalisierte
Jugendliche genau deshalb und aus Wut über die grassierende Korruption in
Regierungsbehörden der Boko Haram an.