Rund eine Woche nach der Wahl zur verfassunggebenden
Versammlung in Venezuela bestimmt die Meldung über einen
mutmaßlichen Wahlbetrug die Debatte im Land und international.
Grundlage ist eine Pressemitteilung des in London ansässigen Unternehmens
Smartmatic, das seit 2004 den technischen Support für zahlreiche Abstimmun-
gen in dem südamerikanischen Land geleitet hat.
Die Vorwürfe von Smartmatic haben indes durchaus unterschiedliche Reak-
tionen hervorgerufen. Während die regierungskritische Staatsanwältin Luisa
Ortega ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes auf Wahlbetrug ein-
leitete, veröffentlichten regierungsnahe Medien Details über Verbindungen des
Unternehmens zum US-Investor George Soros.
Zugleich rief eine Smartmatic nahestehende Nichtregierungsorganisation die
Europäische Union (EU) dazu auf, eine Übergangsregierung in Venezuela zu
unterstützen.
In Reaktion auf die Erklärung von Smartmatic sagte Generalstaatsanwältin
Ortega am Mittwoch im Interview mit dem US-Sender CNN, sie habe zwei
Staatsanwälte mit Ermittlungen "zu diesem skandalösen Vorgang" beauftragt.
Die Vorwürfe seien "sehr schwer", so Ortega. Bei der Erklärung aus London
handele es sich um "ein weiteres Element in diesem ganzen illegalen Prozess
der verfassunggebenden Versammlung des Präsidenten". Es bestehe sogar
der Verdacht auf ein "Verbrechen gegen die Menschheit", so Ortega. "Es ist
wahrscheinlich, dass wir in diesem Fall noch nicht mal eine Wahlbeteiligung
von 15 Prozent hatten."
In der Presseerklärung des britischen Unternehmens heißt es, dass bei der
Abstimmung "schätzungsweise eine Differenz von einer Million Stimmen
zwischen der tatsächlichen Beteiligung und dem von den Behörden bekannt-
gegebenen Resultat liegt".
Zuvor schreibt die Firma in der gleichen Erklärung noch selbstbewusst:
"Aufgrund der Zuverlässigkeit unseres Systems (von Wahlmaschinen) wissen
wir ohne jeden Zweifel, dass das Ergebnis der letzten Wahlen (zur verfassung-
gebenden Versammlung in Venezuela) manipuliert wurde." Unklar bleibt zu-
nächst, woher diese Gewissheit kommt. Dennoch fand die Meldung weltweit
umgehend Verbreitung. (...)
Die Präsidentin der Wahlbehörde CNE, Tibisay Lucena, bezeichnete die Erklär-
ung von Smartmatic als "beispiellose Einschätzung eines Unternehmens,
dessen einzige Aufgabe im Rahmen der Wahl darin besteht, bestimmte Dienst-
leistungen und technische Unterstützung zu bieten, die keinen Einfluss auf die
Ergebnisse haben".
Im Übrigen habe Smartmatic als Serviceunternehmen auch dieses Mal an allen
technischen Überprüfungen teilgenommen und die entsprechenden Protokolle
unterschrieben, erklärte die venezolanische Wahlbehörde an anderer Stelle.
Dies betreffe auch die Software der Wahlmaschinen und das Auszählungs-
system, dessen Überprüfung des Auszählungssystems laut CNE am 25. Juli
stattfand und zufriedenstellend verlaufen sei.
Smartmatic sieht sich auch Kritik ausgesetzt, weil die Firma ihre Anschuldi-
gungen vor der internationalen Presse darlegte, ohne zuvor Venezuelas
Wahlbehörde oder Regierung zu informieren. Sie scheint im Weiteren auch
nicht mehr mit dem CNE kooperieren zu wollen. Wie die konservative Tages-
zeitung El Nacional berichtete, hat das Unternehmen 20 führende Mitarbeiter
aus Venezuela abgezogen und seine geschäftlichen Tätigkeiten in dem Land
"bis auf Weiteres" eingestellt.
Neue Polemik gab es zudem um den Vorstandsvorsitzenden des Unterneh-
mens: Mark Malloch-Brown ist ehemaliger Stellvertretender Generalsekretär
der Vereinten Nationen, Ex-Vizepräsident der Weltbank und gegenwärtig
Mitglied des Oberhauses des britischen Parlaments. 
Gleichzeitig sitzt er im Vorstand der Open-Society-Stiftung des US-ameri-
kanischen Milliardärs George Soros. Die Stiftung steht immer wieder in der
Kritik, weil sie politische Organisationen in zahlreichen Ländern finanziell
unterstützt. Einige davon haben bei sogenannten "Farbrevolutionen" zentrale
Rollen gespielt, etwa in Jugoslawien, Georgien und der Ukraine.
Malloch-Brown ist ebenfalls Vorsitzender der Organisation "International Crisis
Group". Diese hatte am 20. Juli einen Kommentar zur Lage in Venezuela ver-
öffentlicht, in dem davor gewarnt wird, die Regierung von Präsident Nicolás
Maduro wolle mit der verfassunggebenden Versammlung die Demokratie
beseitigen und durch eine "vollwertige Diktatur" ersetzen. Die EU wird in dem
Text aufgefordert, zusammen mit den USA, Kanada, Mexiko, Peru und Kolum-
bien eine "Kontaktgruppe" zu schaffen, die auf die "Wiederherstellung der
Demokratie" in Venezuela hinarbeiten solle. Dabei solle die EU einer even-
tuellen "Übergangsregierung" in Venezuela mit "Rat und technischer Unter-
stützung" zur Seite zu stehen.
Auf dem kritisch-chavistischen Portal aporrea.org werden diese Verflech-
tungen von Malloch-Brown nun mit den jüngsten Äußerungen von Smartmatic
in Verbindung gebracht. Durch den Erfolg der verfassunggebenden Versamm-
lung habe sich Malloch-Brown gezwungen gesehen, "die ihm zur Verfügung
stehenden Ressourcen, inklusive Smartmatic, einzusetzen, um die Resultate in
Zweifel zu ziehen".
Der Rat der Wahlexperten Lateinamerikas, ein Zusammenschluss von Vertre-
tern der Wahlbehörden aus den Staaten der Region, verteidigte indes das offi-
zielle Ergebnis, dem zufolge rund acht Millionen Menschen an der Abstimmung
am vergangenen Sonntag teilgenommen haben. Im Interview mit dem russi-
schen Auslandssender RT bezeichnete der ehemalige Präsident des Wahlrates
von Ecuador, Nicanor Moscoso, das Ergebnis als "wahr und vertrauens-
würdig".
Von  Philipp Zimmermann, Harald Neuber, 5.8.2017
Quelle und gesamter Artikel: https://amerika21.de/2017/08/181945/venezuela-wahlbetrug-
smartmati