Bis zum Zweiten Weltkrieg – man mag es heute kaum mehr glauben – waren
die USA eine zutiefst antimilitaristische Gesellschaft. Zwar wählten die
Amerikaner immer wieder höchste Militärs ins höchste Amt, beginnend mit
Übervater George Washington, dem im 19. Jahrhundert die Generäle Zachary
Taylor (1849 bis 1850) und Ulysses S. Grant (1869 bis 1877) folgten. Doch
änderte dies nichts am Primat der Politik und am ausgeprägten Misstrauen
gegen ein zu mächtiges Militär.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein galten Militärausgaben als Geldverschwendung
Stehende Heere galten seit den blutigen Gründungstagen der Nation als
Werkzeuge königlicher Tyrannen. Die USA unterhielten in Friedenszeiten nie
mehr als eine kleine Armee von wenigen Zehntausend Mann und eine Flotte
zum Schutz des Überseehandels. Im Kriegsfall wurden die Reihen mit Frei-
willigen aufgefüllt.
Die Wehrpflicht war ein unpopuläres, letztes Mittel, das vor 1940 nur kurzfristig
im Bürgerkrieg und im Ersten Weltkrieg Anwendung fand. Zudem scheuten die
Amerikaner die hohen Kosten für das Militär, die als Verschwendung ange-
sehen wurden, weil man keinen äußeren Feind fürchten musste.
Auch die Wirtschaft bevorzugte die zivile Produktion für den Massenkonsum.
Nicht einmal die Schwerindustrie zeigte sich sonderlich am Militär interessiert.
Der Stahlbaron Andrew Carnegie zum Beispiel war ein erklärter Pazifist und
großzügiger Förderer der 1899 gegründeten Antiimperialistischen Liga.
Im Ersten Weltkrieg stampfte die Industrie zwar in Windeseile eine gigantische
Rüstungsproduktion aus dem Boden, die aber nach dem Krieg sofort wieder
eingestellt wurde. In den zwanziger Jahren schritten die USA bei den Bemüh-
ungen um eine internationale Abrüstung voraus; zugleich erlebte im Land der
Pazifismus eine Blütezeit.
Das Misstrauen gegen das Militär und die Industrie war so groß, dass der
Kongress Mitte der dreißiger Jahre eine spektakuläre Untersuchung durch-
führte, ob eine Verschwörung der Waffenproduzenten das Land in den Ersten
Weltkrieg getrieben hatte. Obwohl es dafür keine Beweise gab, verabschie-
deten die Abgeordneten rigide Neutralitätsgesetze, die Präsident Franklin D.
Roosevelt gegenüber Nazideutschland zunächst die Hände banden.
Durch den Zweiten Weltkrieg und den Beginn des Kalten Krieges veränderte
sich die Lage jedoch grundlegend. Die USA waren endgültig zur führenden
Weltmacht aufgestiegen, für die ein Rückzug auf den nordamerikanischen
Kontinent nicht mehr infrage kam.
Dass der Konflikt mit der Sowjetunion auch ideologisch aufgeladen war, half
dabei, traditionelle Widerstände gegen kostspielige Rüstungsprogramme und
weltweite Militärbündnisse zu überwinden. Vor allem aber mussten die Ameri-
kaner akzeptieren, dass die seligen Zeiten vorüber waren, da Atlantik und
Pazifik unüberwindliche Gräben für Feinde gebildet hatten.
Die rasante Entwicklung der Militärtechnik zwischen 1940 und 1960 – Lang-
streckenflugzeuge, Atomwaffen, Interkontinentalraketen, Überschalljets,
Satelliten – machte die Vorstellung von der eigenen Unverwundbarkeit end-
gültig zur Illusion. Nur wenn Amerika all seine Ressourcen dauerhaft für die
Sicherheit mobilisierte, so glaubten viele, konnte es den Rüstungswettlauf
gegen die Sowjets gewinnen.
Manfred Berg, 2008
Quelle und gesamter Artikel: http://www.zeit.de/2008/37/Milit-r_-Industriell_-
Komplex/komplettansicht
Militärausgaben galten früher als
      Geldverschwendung