Gescheiterter Putsch in der Türkei - was/wer steckt
             dahinter und wie geht es jetzt weiter? 
20.7.: Die Demonstrationen, zu denen die Regierung aufruft, gehen
unvermindert weiter. Sogenannte "Demokratiewächter" versammeln sich jede
Nacht auf Hauptplätzen. Auf dem Taksim-Platz wehen jetzt türkische Fahnen, so
mächtig vom Himmel bis knapp zum Boden reichend.  In der Nacht zum Dienstag
haben die Demponstranten einen Galgen mitgebracht und eine Puppe aufgehängt.
Sie wollen die Todesstrafe für die Putschisten.
Freitagnacht war das Volk, das der türkische Staatschef rief, auf die Straßen
gegangen, um sich den Soldaten entgegenzustellen. 145 Zivilisten bezahlten das
mit ihrem Leben. Seither kommen die Türken jede Nacht auf die Hauptplätze ihrer
Städte, landauf, landab, von Istanbul im Westen bis Gaziantep weit im Südosten.
Mobilbetreiber schicken SMS. Die Regierung hält die Bürger zu dieser "Wacht"
an, die türkischen Mobilbetreiber senden schon tagsüber Textnachrichten an ihre
Kunden, damit sie ihre Pflicht in der Nacht zur Verteidigung der Demokratie nicht
vergessen.
Was die Todesstrafe betrifft, hat Erdoğan bereits angekündigt, den “Willen des
Volkes” zu berücksichtigen. “Wenn das Parlament eine solche Entscheidung über
die Wiedereinführung der Todesstrafe treffe, dann werde er ihr zustimmen”
kündigt Erdoğan an. Referendum in Sicht. Der Weg dafür scheint schon offen –
politisch zumindest ...
Die Regierung treffe momentan kritische Vorbereitungen, hat Präsident Erdoğan in
der Nacht verraten. "Am Mittwoch kommt der Nationale Sicherheitsrat zusammen.
Danach gibt es eine Kabinettssitzung. Als Ergebnis dieser Treffen werden wir eine
wichtige Entscheidung verkünden." Diese könnte lauten: Das Volk soll in einer
Abstimmung über eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe entschei-
den (allerdings dürften die Putschisten selbst nach Wiedereinführung der Todesstrafe
nicht hingerichtet werden. Das verbietet Artikel 38 der geltenden Verfassung. Darin
heißt es, niemand dürfe härter bestraft werden, als die härteste Strafe zum Zeitpunkt
der Tat vorsieht. Gleiches gilt für Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskon-
vention, die von der Türkei unterzeichnet wurde....!!). 
Denkbar ist auch, dass bei dem Referendum gleich auch über die Einführung
eines in der Verfassung festzuschreibenden Präsidialsystems abgestimmt
werden könnte ...
Einige Kommentare dazu ...
21.7.: Nun verhängt Erdogan den Ausnahmezustand ...              
Gleichzeitig
verkündet der türkische Vizeministerpräsident die Aussetzung der Europäischen
Menschenrechtskonvention ...                
Was sieht die Verfassung des Landes bei einem Ausnahmezustand vor ?
Welche Rechte gibt sie der Regierung - und wo setzt sie ihr noch Grenzen?
Erdogan und andere türkische Regierungspolitiker versuchen jedenfalls zu
beruhigen: Der Ausnahmezustand werde weder die Pressefreiheit noch die Ver-
sammlungs- und Bewegungsfreiheit einschränken. Das Leben gewöhnlicher Men-
schen werde nicht beeinträchtigt, Geschäfte würden normal weiterlaufen. "Wir
sind der Marktwirtschaft verpflichtet." ...
Internationale Medien kritisieren das Vorgehen jedoch teilweise sehr scharf ...
War der Putschversuch inszeniert?
Die jubelnden Anhänger zeigen jedenfalls nicht die ganze Wahrheit. In Wirk-
lichkeit ist die Türkei tief gespalten. So gibt es auch viele Türken, die geschockt
und entsetzt sind über das Geschehen -  und die sich fragen, ob dieser ganze Putsch
nur inszeniert war. Hier eine Reportage aus der Türkei ...
Der türkischstämmige Soziologe Kenan Güngör sieht die Türkei als autoritär
geführten, halb demokratischen Staat auf dem Weg in die Diktatur. Und er meint,
dass die Putschisten in eine Falle gelaufen sind ...
Allerdings könnten auch einigen die Flucht gelungen sein ...
Besorgniserregend ist auch die Gewaltbereitschaft und der Fanatismus vieler
Erdogan-Anhänger ...
So fühlen sich auch in Deutschland Kurden und  liberal denkende Türken
zunehmend bedroht ... 
 
AKP-Mails veröffentlicht:
Im übrigen könnten die wahren Hintergründe über den Putschversuch bald ans
Licht kommen, denn die Enthüllungsplattform WikiLeaks hat nun nach eigenen
Angaben mehr als 294.000 E-Mails der türkischen Regierungspartei AKP
öffentlich zugänglich gemacht ...
Die WikiLeaks-Seite ist jedoch in der Türkei gesperrt. Außerdem müssen
Gegner von Erdogan und Unterstützer der gescheiterten Putsches  unterdessen bei
entsprechenden Einträgen in Sozialen Medien mit Besuch der Polizei rechnen. In
mehreren türkischen Städten seien sieben Personen festgenommen worden, die den
Putschversuch gelobt oder Erdogan kritisiert hatten. Das meldete unter anderem
CNN Türk in der Nacht zum Mittwoch.
Den Festgenommenen werde unter anderem vorgeworfen, mit Einträgen in
Sozialen Medien „die verfassungsmäßige Ordnung gestört“, „Kriminelle gelobt“
oder Erdogan beleidigt zu haben. Die Zeitung „Cumhuriyet“ berichtete, dass im
nordwesttürkischen Tekirdag ein 18-Jähriger nach angeblicher Beleidigung des
Präsidenten verhaftet worden sei. Auch das gehört also anscheinend zu den
sogenannten “Säuberungen” ...
Vor allem auch die Hochschulen (und damit die Gebildeten und kritisch 
Denkenden...) stehen dabei im Visier der türkischen Regierung ... 
20.7.2016
zuletzt aktualisiert 21.7.16
Erdogan will “den Willen
des Volkes” nach Todes-
strafe berücksichtigen ..
Einige Putschisten wurden von
fanatischen Erdogan-Anhängern
gelyncht