1997 fallen der Ministerpräsident Pawlo Lasarenko und Julia
Timoschenko beim amtierenden Präsidenten Leonid Kutschma in
Ungnade (Pawlo Lasarenko beabsichtigte bei der bevorstehenden
Präsidentenwahl zu kanditieren). Als Folge wurde das (von Lasarenko
gestützte) Wirtschaftsimperium und die Firma JeESU von Julia
Timoschenko zerschlagen:
Der Krieg gegen JeESU beginnt nach den klassischen Regeln des
postsowjetischen Beamten-Kapitalismus. Zunächst wird Julia Timoschenkos
Unternehmen das Recht entzogen, den meisten seiner Kunden Gas zu liefern. Im
Nationalen Sicherheitsrat wird Kritik laut, sie habe den Gasmarkt monopolisiert.
Daraufhin wird dieser radikal neu aufgeteilt.
Den Nutzen haben ihre langjährigen Rivalen Igor Bakai und Viktor Puntschik. Mit
der Gründung der monströsen Staats-AG “Naftgas” unter Igor Bakai findet die
Neuaufteilung des Marktes ihren Abschluss.
Für Julia Timoschenko ist dort kein Platz mehr. Es gelingt ihr gerade noch, ihr
Geld beiseitezuschaffen. Das tut sie allerdings so geschickt, dass weder
russische oder ukrainische Staatsanwälte noch Interpol es bisher finden
konnten.” (Popov/Milstein*, S.123)
Julia Timoschenko geht daraufhin endgültig in die Politik und tritt in die
Bewegung “Gromada” (Gemeinde) ein. Sie macht eine Kampfpartei
daraus, wobei sie auch die Reserven ihres untergehenden
Gasunternehmens mobilisiert: “JeESU-Manager bauen die neuen Strukturen,
die zentralen Organe und regionalen Organisationen der Partei auf. Vorsitzender
des Koordinierungsrates wird zunächst ihr Schwiegervater, der JeESU-
Generaldirektor Gennadi Timoschenko. Er spricht ganz offen von Stimmkauf,
denn Geschäft ist Geschäft. “Das Geld für die Verstärkung des Einflusses von
“Gromada” auf alle Bereiche der Staatsmacht wird bereitgestellt.” Mehr noch:
“Wir haben eine ungefähre Vorstellung davon, was eine Präsidentenwahl kostet.
Und wir kennen die Spendenquellen.” (Popov/Milstein*, S.130) 
Mit welcher Rachsucht und Aggression Julia Timoschenko nun als
Politikerin agierte, zeigen folgende Aktionen:
Im August 1997 fordert Julia Timoschenko, die Abgeordnete der Obersten Rada,
offiziell, das Parlament möge während seiner Herbsttagung ein Verfahren zur
Amtsenthebung des Präsidenten einleiten. Zum ersten Mal seit der
Unabhängigkeit der Ukraine wird in den Mauern des Parlaments ein derartiger
Antrag gestellt.
Julia Timoschenkos Partei ist die einzige, die die erbarmungslose Kritik am
Präsidenten zum Hauptthema ihres Wahlkampfes macht. Es hat fast den
Eindruck, man gehe nicht in Parlaments-, sondern in Präsidentenwahlen, und
“Gromada” sei kollektiver Anwärter auf den höchsten Posten im Lande.
Julia Timoschenko nennt Leonid Kutschma bereits einen “politischen Leichnam”.
Bedenkenlos schießt sie gegen jeden in der Umgebung des Präsidenten - gegen
den Chef seiner Administration, gegen Minister und gegen Regierungschef
Pustowoitenko.
In den Ausdrücken ist sie dabei nicht wählerisch. Die Abgeordneten von
Kutschmas Parlamentsfraktion nennt sie “Schizophreniker” und sagt ihnen in
Kürze ein “kritisches Stadium” dieser unheilbaren Krankheit voraus. Mit
besonderer Lust fällt sie über das starke Geschlecht her: “Unser Problem ist
nicht, dass wir zu wenige Politikerinnen haben, sodnern dass es in der Politik
keine Männer mehr gibt.”
Mit scharfer Zunge wirft Julia Timoschenko im Parlament mit Sprüchen um sich,
die sofort in der Gesellschaft die Runde machen. Wenn sie vor Wählern spricht,
glühen ihre Augen und ihre gut eingeübten Gesten haben fast etwas von Lenin.
Sie wirkt lakonisch, leidenschaftlich und überzeugend.
Ein halbes Jahr nach ihrem ersten Sieg bei den Parlamentswahlen geht sie wieder
auf Versammlungen, wie der verlorene Sohn ins Elternhaus zurückkehrt. Unter
freiem Himmel spürt sie, wie sehr ihr im Plenarsaal des Parlaments oder im Büro
der JeESU-Präsidentin diese elektrisierende, berauschende Luft gefehlt hat.
Sie fährt durchs Land, trifft sich mit Menschen auf Straßen, Plätzen und
Fabrikhöfen, erklettert mit ihren gefährlich hohen Pumps einen wackligen Tisch,
der eilig angeschleppt wird ...  Mit voller Brust saugt sie die Liebe der Menge ein,
lässt sich von deren kollektiven Energie durchströmen. Dieses Glück ist mit
nichts zu vergleichen - zu spüren, wei bei deinen Worten Tausende Augenpaare
aufleuchten, wie die Herzen der Zuhörer in einem Takt mit deinem Herzen
schlagen. Klein, zart und sehr weiblich, wird sie auf diesen Kundgebungen zur
Tochter der Masse, zu ihrer Schwester, Frau und Geliebten. (...)
Bei der Parlamentswahl nimmt “Gromada” schließlich trotz eines aggressiven,
hervor-ragend organisierten und sehr teuren Wahlkampfes nur mit Mühe die Vier-
Prozent-Hürde. Julia Timoschenko, die in ihrem alten Wahlkreis antritt, erhält
kaum ein Drittel der damaligen Stimmen. Für “Gromada” als Partei sieht es in
diesem Wahlkreis noch schlechter aus.
Und doch - die Hauptsache ist erfüllt, Pawlo Lasarenko und Julia Timoschenko
ziehen wieder ins Parlament ein. Hier kann Julia endlich Revanche für den Raub
ihrer Partei nehmen. (...) Julia Timoschenko wird zur Vorsitzenden des
Haushaltsausschusses, des wichtigsten Gremiums der Rada, gewählt. (...)
Im Parlament bleibt Julia Timoschenko bei dieser Politik. Wie schon im
Wahlkampf sind ihre beiden wichtigsten Themen die Forderung nach dem
Rücktritt des Präsidenten und nach einer wesentlichen Aufstockung der
Sozialprogramme. Der Haushaltsausschuss bietet ihr dafür die ideale Plattform.
Den von dem verhassten Ministerpräsidenten Pustowoitenko vorgelegten
Haushaltsentwurf weist sie entschieden zurück und verfasst einen
Gegenvorschlag, der enorme Sozialausgaben vorsieht. Die Fachleute heben
befremdet die Hände und können nur hoffen, dass die internationalen
Finanzorganisationen, die den ukrainischen Haushalt kreditieren, derartige
Fantastereien nicht ernst nehmen.
Aber den einfachen Leuten in dem verarmten Land imponiert, wie diese Frau
furchtlos gegen die Staatsmacht vom Leder zieht. Wie sie öffentlich dafür kämpft,
dass ihre Löhne und Renten erhöht und pünktlich gezahlt werden. Kutschmas
Ansehen sinkt zusehends. Julia Timoschenkos Sympathiewerte steigen, obwohl
die meisten Menschen Oligarchen überhaupt nicht mögen. Zugleich wächst in
den Behörden der Hass auf sie. Und die Erkenntnis, dass sich diese
unkontrollierbare Dame offenbar nicht einschüchtern lässt. Höchstens im
Gefängnis.” (Popov/Milstein*, S.130 ff.)
 
 *) Dmitri Popov/Ilia Milstein, “Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie”,
               2012 Redline Verlag