Siteplaning wird bei Flüchtlingslagern von einem Ingenieur oder Architekten
durchgeplant. Doch Kilian Kleinschmidt hatte im Flüchtlingslager Zaatari keine
guten Erfahrungen damit gemacht:
“Genaue Quadratmeterzahlen für Familien und Abstände zwischen Zelten,
Toiletten und Gebäuden werden von ihnen errechnet. Für die Container
beschäftigten wir einen Landvermesser, der auf dem Boden entsprechende
Markierungen machte, auf der die Wohneinheit gesetzt werden sollte. Wenn
der Kran kam, der den weißen Container mit dem Logo des Spenders absetzen
sollte, wurden genaue Anweisungen gegbeben, fünf Zentimeter nach links,
zehn Zentimeter nach rechts, damit er ja auf den aufgezeichneten Markierun-
gen landete. Kaum waren Kran und Helfer wieder weg, wurde der Container mit
selbst gebauten Karren versetzt oder umfunktioniert. Die Karren bestanden
aus herausgerissenen Zaunpfählen, die zusammegeschweisst und auf Räder
montiert wurden. Es hatte dann keinen Zweck mehr mit dem Landvermesser,
wir ließen die Menschen schließlich selbst entscheiden, wie sie ihre Wohn-
einheiten aufstellen wollten.
Wir verteilten in Zaatari 70.000 Zelte und 24.000 Container im Wert von etwa
100 Millionen US-Dollar, die alle ziemlich gleich aussahen – und doch ähnelte
schnell keine Wohnstätte mehr der anderen, jedes Haus war individuell. Das
war zwar anstrengend für unsere Koordination, aber auch dieses Vorgehen
zeugte von der Kraft und dem Willen dieser Menschen.
Schon 2012 hatte ich in Mogadischu diese Sehnsucht der Flüchtlinge nach
Individualität und Selbstbestimmung erfahren. Eine Frau hatte damals zu mir
gesagt: „Wenn ich drei Stunden vor der Suppenküche anstehen muss und
noch mal drei Stunden bei der Verteilung von Hygienartikeln und dann zwei
Kilometer zur Wasserstelle hin und zurück laufen muss, habe ich keine Zeit
mehr, mir ein neues Leben aufzubauen. Ihr haltet damit die Leute in Abhängig-
keit und erlaubt ihnen keine eigenen Entwicklungen.“
Lange dachte ich über ihre Aussage nach. Es stimmte: Durch unsere
systematische Planung konnten wir nur mit Menschen umgehen, die sich der
Normierung fügten und anpassten.
Wir sahen und sehen Menschen in Zahlen und damit als ein logistisches
Problem – was bei Katastrophen auch schwer anders zu bewerkstelligen ist –
am Anfang. In Zaatari lag die Katastrophe der Flucht bereits zurück, und vor
allem lebten Flüchtlinge ihre ganz eigene Persönlichkeit aus – das machte
letztlich auch ihre Stärke aus.“