Hamed Abdel-Samad schreibt dazu: „Vier Jahre nach dem Erscheinen des
Sarrazin-Buches „Deutschland schafft sich ab“, frage ich mich, ob wir in der
Islam- und Integrationsdebatte irgendetwas anderes wahrgenommen haben als
Ängste, Empörung und Beleidigung.
Ich gehörte damals zu denjenigen, die Thilos Sarrazin dankbar waren, weil er
auf die Missstände in der Bildungs- und Integrationspolitik aufmerksam
machte. Ich wünschte mir, dass sich nach der Veröffentlichung des Buches
eine ehrliche Diskussion über diese Themen entspinnen würde. Auch wenn ich
Sarrazins provokante Thesen etwa über die Vererbung von Intelligenz proble-
matisch fand, hegte ich die Hoffnung, dass die Provokation irgendwann zu
Entspannung und Einsicht führen könnte. Aber die Provokation ist eine
Provokation geblieben. Zu nichts hat die Debatte geführt, außer zu mehr
gegenseitiger Abneigung und zu stärkerer Polarisierung.
Sarrazin habe einen Nerv getroffen und eine öffentliche Debatte übe ein
Tabuthema möglich gemacht, sagen die einen. Nein, Sarrazin habe keinen Nerv
getroffen, er sei uns nur auf die Nerven gegangen und habe das Zusammen-
leben erschwert, meinen die anderen. Was für ein Supermann ist dieser
ehemalige Finanzsenator eigentlich? Warum dominierte er das Thema
Integration so lange quasi im Alleingang, obwohl er nur einige Missstände
aufgelistet, aber keine Lösungsansätze angeboten hatte? 
Die Emotionen und der Wirbel, den Sarrazin ausgelöst hat, sind meiner
Meinung nach nicht durch seine teils berechtigte Kritik am bestehenden
System entstanden. Sondern durch das subjektive Gefühl vieler Menschen,
permanent ungerecht behandelt und über den Tisch gezogen zu werden.
Dieses Gefühl einte interessanterweise die beiden Hauptkontrahenten in der
Islamdebatte: Muslime und Islamkritiker. Die „Endlich sagt es mal einer“-
Fraktion hielt unreflektiert zu Sarrazin und seinen Thesen, die kaum jemand
genau wiedergeben konnte. Auf die teils harsche Kritik an seinen Thesen
reagierten sie reflexartig. Die Medien seien doch alle gleichgeschaltet und
versuchten, das Image des Islam aufzupolieren und die Wahrheit über das
Gewaltpotenzial dieser Religion zu verschleiern. Sie behaupteteten, man dürfe
in Deutschland den Islam nicht kritisieren, und einer, der das täte, wie Sarrazin,
sollte gleich mundtot gemacht werden.
Auf der anderen Seite schien die „Wir fühlen uns nicht willkommen“-Fraktion
geradezu sehnsüchtig auf die Botschaften des pensionierten Bankers gewartet 
zu haben, um die eigene Dauerempörung auf Temperatur zu halten.“
Quelle: Hamed Abdel-Samad, “Der islamische Faschismus”,
              2014 Droemer Verlag, S.199