Thomas de Wesselow, ein britischer Kunstforscher, der sich eingehend mit
dem Wunder des Turiner Grabtuches auseinandergesetzt hat, gibt uns einen
kleinen Einblick in das damalige Zeitgeschehen des frühen Christentums:
“Paulus wusste demnach alles, was es über das aufkeimende Christentum
zu wissen gab. Vor allem wusste er genau, was die Apostel unter Aufer-
stehung verstanden. Von ihm selbst glaubte man, er habe den Auferstan-
denen gesehen, und er muss seine “Offenbarung” mit den Köpfen der
Jerusalemer Kirche diskutiert haben, die den auferstandenen Jesus eben-
falls gesehen haben sollen.
Das macht seine Briefe als Quellen zur Frage der Auferstehung so unge-
mein wertvoll und weit unschätzbarer als die viel später entstandenen
Evangelien aus anonymer Quelle. Paulus war kein Möchtegern-Biograf
des ausgehenden 1. Jahrhunderts, der mit wirren kirchlichen Überliefer-
ungen handelte, er war Augenzeuge und Sendbote des auferstandenen
Jesus, jemand, der an der Begründung des Christentums direkt beteiligt
war.
Vermutlich im Frühling des Jahres 54 n.Chr., als Paulus in Ephesus, der
damals wichtigsten Stadt in Kleinasien, weilte, schrieb er einen leiden-
schaftlichen Brief an seine einstigen Gefolgsleute in Korinth, da ihm zu
Ohren gekommen war, sie seien untereinander zerstritten und führten ein
ausschweifendes Leben. Paulus’ erster Brief an die Korinther war der
Versuch, seine Anhänger in Korinth aus der Ferne erneut auf das
Evangelium einzuschwören, ihren Glauben an den Herrn ungebrochen zu
halten, bis er sie wieder persönlich besuchen konnte - oder bis der Herr
selbst zurückkäme.
Eine der Schlüsselpassagen des Briefes befasst sich mit der Auferstehung
der Gläubigen am Ende aller Tage, ein Glaubensinhalt, der in Korinth
nachweislich zu einem größeren Zankapfel geworden war. Wie Paulus
gegen Ende seines Briefs erläutert, ist die Erwartung eines glorreichen
künftigen Lebens unauflöslich verknüpft mit der Auferstehung Christi,
dem Ereignis, das die “gute Nachricht” - das Evangelium - des Christen-
tums ausmacht. “Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt”, lässt er
seine abtrünnigen Glaubensbrüder wissen, “ist auch Christus nicht
auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist
unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.”
Fest entschlossen, diesem entscheidenden Dogma mit allen Mitteln zur
Durchsetzung zu verhelfen, versucht Paulus im Licht seiner Erkenntnisse
über den auferstandenen Jesus ein für alle Mal klarzumachen, was es mit
der Auferstehung der Toten auf sich hat. Er beginnt, indem er seine
Glaubensbrüder an das eigentliche “Evangelium” erinnert, das er sie
gelehrt hatte, als er ihre Stadt (etwa um das Jahr 49 herum) missioniert
hatte, und das ihm selbst von den Gründern der Kirche nahegebracht
worden war:
“Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet
habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch
dieses Evangelium wurdet ihr gerettet, wenn ihr an den Wortlaut festhaltet,
den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht
unüberlegt angenommen? Denn vor allem habe ich euch überliefert, was
auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß
der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt
worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas (d.h. dem Petrus),
dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern,
zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind
entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln.”
Quelle: Thomas de Wesselow, “Das Turiner Grabtuch und das
Geheimnis der Auferstehung”, 2013 C.Bertelsmann Verlag, S.74 ff.