Nach einiger Zeit verschwanden der Operationssaal und die Szene mit seiner
Mutter – und plötzlich befand sich Parti am Rande der Hölle: „Mein Welt wurde
dunkel, und für einen Moment war ich erleichtert. Ich kehre in meinen Körper
zurück, dachte ich. Aber diese Erleichterung wurde durch Furcht verdrängt, als ich
einen fernen Gewitterblitz zu meiner Rechten sah, der mich sehr schnell zu sich
hinzuziehen schien und bald auch von Donner begleitet wurde …. Was ist das?
Schmerzensschreie und Stöhnen und Pein lagen wie ein Feuernebel über brennen-
den Seelen, die sich in der Glut krümmten wie verdorrte Blätter. Ich wurde dorthin
gezogen, als stünde ich auf einem Laufband zum Rand der Feuerschlucht. Rauch
stieg mir in die Nase und der Geruch von verbranntem Fleisch. Ich stand am Rand
der Hölle.
Ich versuchte mich abzuwenden, konnte es aber nicht. Ich versuchte zurückzu-
gehen, aber das ging nicht. Jedes Mal, wenn ich einen Schritt zurückmachte, schob
mich eine unsichtbare Kraft wieder nach vorn, und ich hatte freien Blick auf den
qualvollsten Ort, den man sich vorstellen kann.
Naraka, dachte ich, das Hindi-Wort für Hölle. Obwohl ich schon seit Jahrzehnten
nicht mehr in Indien lebte, brannte sich dieses Wort in meine Gedanken ein, währ-
end ich erfolglos versuchte, von der Feuersbrunst wegzukommen. Ein anderer
Name fiel mir ein: Yama, der hinduistische Gott des Todes. Er wird gleich kom-
men, dachte ich. Und dann wird meine Seele zusammen mit den anderen brennen.
Was ist mein Karma? Eine Million Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich
mich fragte, warum ich hier war. Was ist mein Karma?
In meiner Religion bedeutet Karma, dass unser künftiges Leben von unserem Ver-
halten in diesem und in früheren Leben bestimmt wird. Die Beatles haben diese
Vorstellung für die westliche Popkultur in ihrem Song „The End“ so zusammen-
gefasst: „Und am Ende ist die Liebe, die du bekommst, nur so groß wie die Liebe,
die du gibst.“
Klar ist, dass du keine Liebe gegeben hast, hörte ich.
Ich hörte diese Botschaft, als würde sie mir direkt ins Ohr gesprochen. Klar ist,
dass du keine Liebe gegeben hast. Ich schaute mich um, konnte aber niemanden
neben mir entdecken. Die Botschaft hatte mich telepathisch erreicht, aber sie war
so mächtig, dass sie durchaus von Gott hätte kommen können.
„Du hast ein materialistisches, selbstsüchtiges Leben geführt“, sagte die Stimme.
Ich wusste, dass das stimmte und schämte mich.
Im Laufe der Zeit war mir die Empathie für meine Patienten abhandengekommen.
Ich arbeitete wie eine Machine, nicht wie ein menschliches Wesen. Ich betrachtete
meine Patienten als Profitcenter, als Fälle, die mir den Reichtum und das Ansehen
verschafften, die ich im Austausch für meine Dienste als Anästhesist haben wollte.
Ich war ein Arzt, der seine Arbeit gut machte, dem es aber ziemlich egal war, dass
er mit menschlichen Wesen arbeitete. (….) Ich war wie ein Roboter. Ich hatte mich
selbst dazu erzogen, für Emotionen unempfindlich zu sein.
Und noch etwas, das noch nicht einmal ein Roboter macht: Ich hatte mich darauf
trainiert, nur an mich selbst zu denken. Das war bis zu einem gewissen Grad eine
notwendige Reaktion. (….) Es war ein stressiges Leben, und ich hatte einfach
keine Zeit, mich mit meinen Emotionen zu beschäftigen. Stattdessen trank ich
abends zwei oder drei Gläser Scotch und stand jeden Morgen um 6.00 Uhr auf.
Auf der Fahrt zum Krankenhaus trank ich Kaffee und aß ein Sandwich – im Auto
selbstverständlich. Bevor ich in den Operationssaal ging, checkte ich die neuesten
Nachrichten von der Börse, um sicherzugehen, dass meine wertvollsten Aktien
noch auf Kurs waren. Ich hatte meine Emotionen offensichtlich hinter einer Mauer
aus Besitztümern versteckt.
Während der Rauch waberte und die brennenden Seelen um mich herum schrien
und jammerten, dachte ich an meine Besitztümer und daran, wie bedeutungslose
sie waren. Warum habe ich all diese Dinge? Unser Haus war so groß, dass wir von
verschiedenen Flügeln aus per iPhone miteinander kommunizierten.  Ich stand im
ständigen Wettstreit mit meinen Nachbarn und Kollegen und hatte als Folge davon
immer mehr Dinge angesammelt. Meine Gier kannte keine Grenzen. Mein Leben
war ein außer Kontrolle geratener amerikanischer Traum.“ (S.49ff.*)
All das wurde Rajiv Parti bewusst, als er nun am Rande der Hölle stand und im
Begriff stand, selbst ins Höllenfeuer hineingezogen zu werden. Es schien keinen
Ausweg mehr zu geben, aber er betete trotzdem voller Reue: Gott, gib mir noch
eine Chance. Bitte, gib mir noch eine Chance!
*)  Dr.Rajiv Parti / Paul Perry. „Erwachen im Licht“,
      2016, Ansata-Verlag