„Ärzte werden nicht krank. Das glaubte ich wirklich. Und wenn doch, können wir
die Krankheit sofort behandeln und damit verhindern, dass sie fortschreitet. So sah
ich mich selbst: ein Meister meines Schicksals, ein Wundertäter, der gegen sämt-
liche Erkrankungen immun war.
In der Welt der modernen Medizin ist es ein Leichtes, sich wie der Herrscher des
Universums zu fühlen. Allein auf meinem Spezialgebiet, der Anästhesie bei Herz-
operationen, hat die Medizin so viele technologische und methodische Fortschritte
gemacht, dass wir die Patienten buchstäblich von den Toten zurückholen können,
indem wir alles tun: von der Erweiterung verengter Arterien mittels Ballonkatheter
über den Ersatz von Blutgefäßen bis hin zur Herztransplantation. Die Sterberate
bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist in unserer Herzklinik in den letzten zehn
Jahren um 40 Prozent gesunken – dank der fortschrittlichen Behandlung, die rou-
tinemäßig eingesetzt wurde. Ganze Familien haben am Ende einer erfolgreichen
Herzbehandlung Freudentränen vergossen, weil sie wussten, dass wir die Lebens-
zeit ihres geliebten Menschen um viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, ver-
längert hatten.
Vielleicht weil wir den Tod so oft bei anderen austricksen konnten, haben wir
Angehörigen eines herzchirurgischen Teams das vage Gefühl, dass wir auch
unseren eigenen Tod überwinden können. Das stimmt natürlich nicht. Es kann
nicht das Ziel sein, ewig zu leben, weil das niemand tut, zumindest nicht in diesem
Körper. Das Ziel sollte sein, ein Erbe hinterlassen zu können, das ewig weiterlebt.
Jede andere Vorstellung vom Leben ist nur ein Mythos – und ich lebte einen
solchen Mythos.“ (S.27ff.*)