Die Iraker votierten gegen Vetternwirtschaft und Korruption:
Der Kampf gegen die grassierende Korruption wurde zum zentralen Wahlkampf-
thema. Da alle bisherigen Bündnisse und Listen davon betroffen sind, haben die
Wähler für neue, "unbefleckte" Listen gestimmt.
"Sairun" schien ihnen am authentischsten. Entstanden aus den Freitagsdemons-
trationen 2015 und 2016, als die Menschen für mehr Strom und eine bessere
Wasserqualität demonstrierten, später dann für Reformen und ein Ende der Kor-
ruption, ist "Sairun", was auf Deutsch "Vormarsch" bedeutet, ein Instrument der
Zivilgesellschaft geworden.
Muktada al-Sadr hat sich an die Spitze dieser Bewegung gesetzt, seine alte Partei
hat er aufgelöst, die korrupten Minister zum Rücktritt gezwungen und eine Erneu-
erung des Landes propagiert. Das brachte ihm viel Zustimmung ein – bei allen
Volksgruppen Iraks.
Hamid al-Mutlak ist noch einer der Älteren, die schon im Parlament waren und
jetzt wiedergewählt wurde. Der Sunnit aus der Provinz Anbar, nordwestlich von
Bagdad hat sich dem Bündnis "Watania" angeschlossen, dem Ijad Allawi vor-
steht, der erste Übergangspremierminister nach dem Einmarsch der US-Truppen
2003. Allawi selbst ist Schiit, hatte aber stets Sunniten, Christen und auch einige
Kurden in seinen Reihen.
Doch in Zeiten sektiererischer Politik unter Premier Nuri al-Maliki, den nicht
wenige im Irak für den Einzug des IS verantwortlich machen, hatte Allawi keine
Chance. Jetzt könnte es sein, dass er an der künftigen Regierungsbildung beteiligt
wird.
"Wir Sunniten haben zwar keine eigene Partei mehr, tauchen aber irgendwie
überall auf", beurteilt Hamid al-Mutlak die neueste Entwicklung der politischen
Landschaft im Irak.
Was ihm allerdings mehr Sorgen macht, als die Verstreutheit der Sunniten, ist
nicht so sehr der Wahlsieg Muktada al-Sadrs und seiner "Sairun", als vielmehr der
Drittplatzierte bei den Wahlen: die "Fatah".
Fatah-Partei  -  Gefahr durch schiitische Milizionäre
Diese Liste ist – genau wie "Sairun" – ebenfalls neu auf der politischen Bühne und
wäre ohne den IS nicht denkbar. Sie besteht aus Mitgliedern der Schiitenmilizen,
die im Verbund "Hashd al-Shaabi" genannt werden, Volksmobilisierungsfront.
Zusammen mit den iranischen "Al-Quds-Brigaden" kämpften sie gegen den
"Islamischen Staat" und eroberten beispielsweise Tikrit, die Heimatstadt Saddam
Husseins zurück. Auch in Mossul spielte "Hashd al-Shaabi" eine gewichtige Rolle.
Der Politiker Hamid al-Mutlak empfindet diese Situation als extrem gefährlich.
Als das alte Parlament nach dem Ende des von den Dschihadisten ausgerufenen
Kalifats Ende letzten Jahres ein sogenanntes "Hashd"-Gesetz verabschiedete, wo-
nach die fast 100.000 schiitischen Milizionäre Teil der irakischen Sicherheitskräfte
werden sollten und dem Premierminister unterstellt werden, votierte Mutlak dage-
gen. "Ich wollte, dass 'Hashd al-Shaabi' Teil der normalen Streitkräfte wird und
nicht eine Sonderstellung einnimmt."
Als deren Führer in die Politik drängten, war Regierungschef Abadi dagegen. Es
ist trotzdem passiert.
Der Chef der größten Miliz unter dem Dach der Volksmobilisierungsfront, der
"Badr"-Organisation, Hadi al-Amari, sah sich schon als Nachfolger Abadis.
 "Wenn die Milizionäre durch den Abgeordnetenstatus Immunität erlangen, kön-
nen sie machen, was sie wollen", gibt Mutlak zu bedenken. Er befürchtet eine wei-
tere Benachteiligung der Sunniten, die ohnehin schon vorhanden sei, durch den
politischen Status aber noch zunehmen werde.
Kollektivbestrafungen ganzer Dörfer, in denen einige Bewohner mit dem IS
sym-pathisierten oder der Terrormiliz angehörten, seien an der Tagesordnung.
Sunniten würden anders behandelt als Schiiten, Kurden und Christen. Ihre Besitz-
tümer würden konfisziert, zerstört oder geplündert. Die Schiitenmilizen der "Hashd
al-Shaabi" sind bei den Sunniten verhasst.
Wie viel Einfluss die "Fatah" in einer künftigen Regierung haben wird,
hängt von der Koalitionsbildung ab. Denn Muktada al-Sadr und sein "Sairun"-
Bündnis können nicht alleine regieren.
Als möglichen Koalitionspartner sieht Mutlak die "Fatah" allerdings nicht. "Sie ist
der Gegenentwurf zu 'Sairun'", meint er.
 Mit der "Fatah" würde automatisch Teheran mit am Kabinettstisch sitzen. Und
genau das will Muktada al-Sadr vermeiden. Doch ob er das tatsächlich schaffen
wird, ist eine andere Frage.
23.5.2018
Quelle und gesamter Artikel: https://de.qantara.de/inhalt/parlamentswahlen-im-irak-eine-
neue-zeitrechnung
Parlamentswahlen im Irak: 
Am 12.5. fanden die ersten Wahlen nach dem Sieg über den IS statt, die
Wahlbeteiligung war eher niedrig . Doch es ist ein  Durchbruch zu neuen
politischen Ufern gelungen. Denn als Wahlsieger sind völlig neue
Parteienbünd-nisse hervorgegangen, allen voran der einflussreiche schiitische
Geistliche Muktada al-Sadr mit seiner Liste "Sairun"