Gülens „Spinnennetz“ in der Türkei
Ein Experte beschrieb, welche nachhaltigen religiösen Veränderungen die seit
30 Jahre andauernden Aktivitäten Gülens in der einst säkularen, kemalistischen
Türkei bewirkten:
„In der Türkei befinden sich mehr als 85.000 genutzte Moscheen, für 350
Bürger jeweils eine Moschee – das entsprechende Verhältnis liegt bei Kranken-
häusern bei 60.000:1 – das ist die höchste Pro-Kopf-Zahl weltweit. Und mit
90.000 Imamen gibt es mehr Imame als Ärzte oder Lehrer.
Es gibt tausende von Madrasa-ähnlichen Imam-Hatip-Schulen (Berufsfach-
gymnasium für die Ausbildung zum Imam und Prediger) und mehr als 4.000
offizielle, staatliche Koranschulen.
In diese Zahl sind die inoffiziellen Koranschulen noch gar nicht mit einge-
rechnet, was die Gesamtzahl wahrscheinlich verzehnfachen würde.
Die Ausgabe des Amts für religiöse Angelegenheiten (Diyanet Isleri Baskanligi)
haben sich in den ersten viereinhalb Jahren der AKP-Regierung von 553 Bil-
lionen türkischen Lira (etwa 325 Mio. Dollar) im Jahr 2002 auf 2,7 Billiarden
türkische Lira verfünffacht. Er verfügt über einen Haushalt, der größer ist als der
von acht Ministerin zusammengenommen.“ (…)
Mit Rückendeckung der neuen, damals Gülen noch positiv gegenüberstehenden
und mit ihm verbündeten Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP, Partei für Gerech-
tigkeit und Aufschwung) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verän-
derte die islamistische Regierung Schulbücher, förderte Religionsunterricht und
setzte tausende diplomierte Imame als Lehrer und Schulleiter in öffentlichen
Schulen der Türkei ein.
Damit wurde die Trennung zwischen Islam und Staat, die Staatsgründer
Kemal Atatürk durchgesetzt hatte, praktisch aufgegeben.
Abdullah Gül, der erste islamistische Staatspräsident der Türkei und selbst ein
Sympathisant Gülens, berief einen eng mit Gülen verbundenen Professor, Yusuf
Ziya Öszan, an die Spitze des Hochschulrates (Yüksekögretim Kurulu, YÖK),
des zentralen Kontroll- und Aufsichtsgremiums der türkischen Universtitäten
und Hochschulen, und nutzte seine präsidialen Vollmachten, um auch noch
andere Gülen-Anhänger zu Rektoren weiterer Universitäten zu ernennen.
Die Bewegung konzentrierte sich vor allem darauf, eine vorherrschende Stellung
in der Polizei und dem Justizwesen zu erlangen.
2009 erklärte der frühere amerikanische Botschafter in der Türkei, James
Jeffrey: „Es ist unmöglich zu beweisen, dass Mitglieder der Gülen-Bewegung
die Polizei kontrollieren, aber wir haben niemanden getroffen, der es bestreitet.“
Wenn man seine politischen Widersacher verhaften lassen kann und sie dann
von „freundlich gesinnten Richtern“ verurteilen lässt, ist man praktisch unan-
greifbar. Und das genau scheint auch das Ziel der Gülen-Bewegung zu sein.
Die Türkei war auf dem Weg einer langsamen Umwandlung zu einem, wie es
ein Kommentator bezeichnete, faschistischen Staat islamischer Prägung.
Quelle: F.W.Engdahl, “Amerikas heiliger Krieg”,
                    2014, Kopp Verlag, S.197 ff.