Wir „müssen sozusagen auf der dunklen Seite arbeiten“, verkündete Dick
Cheney in der NBC-Sendung „Meet the Press“ am 16.9.2001 und deutete damit
an, was kommen würde. „Wir müssen uns in die unsichtbare Welt der Nach-
richtendienste begeben. Vieles, was jetzt zu tun ist, muss im Stillen gesche-
hen, ohne jegliche Diskussion, mit Mitteln und Methoden, die unseren
Nachrichtendiensten zur Verfügung stehen, wenn wir Erfolg haben wollen.“
Am 18. September 2001 unterzeichnete Präsident Bush öffentlich die
AUMF und gab ihr dadurch Gesetzesrang. 
Noch bedeutsamer aber war die Order, die er tags zuvor im Geheimen
unterzeichnet hatte. Die geheime Präsidentendirektive, die nach wie vor als
Verschlusssache eingestuft ist, räumte der CIA das Recht ein, überall auf der
Welt verdächtige Militante zu ergreifen und festzuhalten, was zum Aufbau ei-
nes Netzes von „black sites“ (wie sie Regierungsvertreter intern bezeichneten),
von Geheimgefängnissen, führte.
Durch diese Direktive wurden auch die Hemmnisse bei der Genehmigung
von gezielten Tötungen aus dem Weg geräumt. Doch das vielleicht Wichti-
gste dabei war, dass von nun an der Präsident nicht mehr jede einzelne verde-
ckte Aktion zur gezielten Menschentötung unterzeichnen musste. Die Anwälte
der Regierung kamen zu dem Schluss, das Verbot solcher Aktionen gelte nicht
für Personen, die als „Terroristen“ eingestuft wurden, und räumten der CIA ei-
nen weiten Spielraum ein, was die Genehmigung von Tötungsaktionen betraf.
(S.41ff.*)
Für den geplanen globalen Krieg bediente sich das Weiße Haus ausgiebig der
Methoden, die Cheney schon lange befürwortet hatte. Im Mittelpunkt des Feld-
zugs auf der „dunklen Seite“ sollten Präsidialerlasse stehen, die ihrer Natur
nach jede effektive Kontrolle durch den Kongress stark begrenzen würden.
Laut dem National Security Act von 1947 muss ein Erlass des Präsidenten
vorliegen, bevor eine verdeckte Aktion           
durchgeführt wird.
Außerdem darf sie nicht gegen US-Gesetze oder die Verfassung verstoßen. 
Der von Bush am 17.September 2001 unterzeichnete Erlass diente dazu, ein
streng geheimes Programm mit dem Codenamen Greystone (GST) auf den
Weg zu bringen. Unter dem Schirm von GST, wie sein Kürzel in internen Do-
kumenten lautete, wurden zu Beginn des „Globalen Kriegs gegen den Ter-
ror“ („Global War on Terror, GWOT) viele der geheimsten und rechtlich
fragwürdigsten Aktivitäten genehmigt und durchgeführt.
Seine Grundlage war die vom Kongress verabschiedete AUMF in ihrer Aus-
legung durch die Regierung. Nach deren Verständnis galt jeder, der im Ver-
dacht stand, al-Qaida angezugehören, wo immer er in der Welt sich auch auf-
hielt, als legitimes Ziel.
Faktisch wurden durch die Präsidialerlässe sämtliche verdeckten Akti-
onen im Voraus für genehmigt und rechtmäßig erklärt, was nach Ansicht
von Kritikern dem Geist des National Security Act widersprach.
Unter GST entstand eine Reihe von kleinteiligen Programmen, die zusammen
faktisch eine globale Tötungs- und Entführungsoperation bildeten. Das Ge-
nehmigungsverfahren für gezielte Tötungen wurde radikal gestrafft. Operati-
onen dieser Art benötigen jetzt nicht mehr die fallweise Ermächtigung durch
den Präsidenten. (S.47ff.*)
GST war auch ein Instrument für Entführungsaktionen, bekannt gewor-
den als „Sonderüberstellungen“. Unter dem GST-Programm begann die CIA
mit Geheimdiensten verschiedener Staaten „Status of Forces“-Abkommen zu
treffen, Abkommen über die Präsenz von US-Streitkräften auf dem Territorium
dieser Staaten.
Deren Zweck war, im Ausland Geheimgefängnisse einzurichten, in denen Häft-
linge interniert und verhört werden konnten, fernab jedes Schutzes durch das
Rote Kreuz, den US-Kongress und allem was auch nur vage an ein Rechts-
system erinnert hätte.
Diese Abkommen verliehen nicht nur staatlichen Mitarbeitern der US-
Behörden Immunität, sondern auch privaten Dienstleistern. Die Regie-
rung wollte Terrorverdächtige nicht vor Gericht bringen, „weil sie dann einen
Anwalt bekämen“, sagte Jose Rodriguez, der zu dieser Zeit das Direktorat für
Operationen in der CIA leitete, zuständig für sämtliche von der CIA durchge-
führten Aktionen.
„Unsere erste und oberste Aufgabe ist, Informationen zu gewinnen“. Um dies
zu erreichen, wurde den Verhörspezialisten erlaubt, gegenüber Häftlingen
grässliche, teilweise mittelalterliche Methoden anzuwenden, viele davon an-
gelehnt an die Folterpraktiken von Amerikas Feinden. Die im Kriegsrat ver-
sammelten Anwälte erstellten eine Reihe von Rechtsgutachten, die später von
Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen als „Folter-Memos“ bezeichnet
wurden, weil sie darauf abzielten, die besagten Methoden als notwendig zu
begründen, ohne sie als Folter zu deklarieren. (S.48ff.)*
Am Rand des US-Luftwaffenstützpunktes Bagram in Afghanistan begann
die CIA heimlich Häftlinge zu internieren. Und schließlich knüpfte die CIA
ein ganzes Netz von „black sites“, wie die Geheimgefängnisse genannt wurden,
in mindestens acht Ländern, darunter Thailand, Polen, Rumänien, Mauretanien,
Litauen und auf Diego Garcia im Indischen Ozean. Anfangs jedoch, als die
CIA noch nicht über eigene Geheimgefängnisse verfügte, behalf sie sich damit,
Verdächtige zur Vernehmung nach Ägypten, Marokko und Jordanien zu ver-
schleppen. Durch Zuhilfenahme ausländischer Geheimdienste konnten die Ge-
fangenen nach Belieben gefoltert werden, ohne dass der Kongress lästige
Fragen stellte.
Im Frühstadium des GST-Programms regte sich im Kongress nur wenig
Widerstand. Demokraten und Republikaner gleichermaßen räumten der Re-
gierung enorme Spielräume zur Durchführung ihres geheimen Kriegs ein. Das
Weiße Haus wiederum weigerte sich gelegentlich, Einzelheiten der verdeckten
Operationen den dafür zuständigen Kontrollausschüssen des Kongresses offen-
zulegen, erntete dafür aber nur wenig Protest. Zudem entschied die Regierung
einseitig, die „Achterbande“, das heißt die acht Kongressmitglieder mit dem
Privileg der umfassenden Unterrichtung, auf vier zu reduzieren: die Vorsitzen-
den und die jeweilige Nummer zwei der beiden Geheimdienstausschüsse von
Abgeordnetenhaus und Senat. Diesem Quartett wurde absolutes Stillschwei-
gen über die Unterrichtungen auferlegt. Faktisch bedeutete dies, dass der
Kongress keinerlei Kontrolle über das GST-Programm hatte – genau das,
was Cheney wollte. (S.49ff*)
*) Jeremy Scahill, “Schmutzige Kriege - Amerikas geheime Kommando-
         aktionen”. 2013, Deutscher Taschenbuch Verlag