David Vázquez ist derzeit im Dauereinsatz. Der Sozialerzieher arbeitet für die
Hilfsorganisation Caritas in Barcelona. Dort kümmert er sich um unbegleitete
Minderjährige: "Schon im vergangenen Jahr waren die Zahlen alarmierend. Seit
2015 steigen die Zahlen enorm an, vor allem während des Sommers", berichtet
Vázquez. "Es ist wie ein dauernder Lockruf aus Europa - zuletzt kamen 20, 30
Leute pro Tag in Barcelona an."
Er spricht von Minderjährigen, die wissen, dass sie nicht abgeschoben werden
können. Minderjährige, mit denen Journalisten nicht sprechen dürfen - die
spanischen Gesetze wollen es so. Mehr als 3300 von ihnen sind in diesem Jahr in
Katalonien registriert worden - rund doppelt so viele wie 2017.
Meist handelt es sich um männliche marokkanische Jugendliche. Die Behörden
kämen kaum hinterher, erzählt Vázquez. Weil sie sich in den Unterkünften nicht
wohl fühlen, nehmen aber auch viele Jugendliche Reißaus. Sie schlafen lieber
unter Brücken oder in leer stehenden Häusern als in überfüllten Räumen und unter
den strengen Augen der Erzieher.
Sozialarbeiterin Fatwa kennt die Gedankenwelt der jungen Migranten ziemlich gut.
Die Marokkanerin ist Vertrauensperson bei der Caritas. Sie spricht die Sprache der
Jugendlichen und kennt ihre Sorgen. "Viele sind ja noch Kinder. Sie geben sich als
harte Burschen, mit denen man sich nicht anlegen sollte. Aber in Wirklichkeit
dient das nur dazu, dass andere ihnen nicht nahekommen", sagt sie. "Hier fangen
sie dann an zu weinen, nachts wollen mit ihrer Mutter sprechen und vermissen ihre
Familie."
Im Touristenviertel Barceloneta sehen die Anwohner vor allem die andere, die raue
Seite. Ein paar junge Migranten haben sich dort in einem verwaisten Innenhof
einquartiert. Manel Martínez vom Nachbarschaftsverein sagt, dass sie Ärger
machen.
Es seien aber eigentlich nur wenige, die Ärger stiften - doch die prägten das Bild,
sagt Manel Martínez vom Nachbarschaftsverein in Barcelona. "Einige von ihnen
greifen Anwohner an. Sie berauben sie, verletzen sie zum Teil sogar. Vor vier
Tagen wurde ein Mann angegriffen, als er gerade dabei war, sein Auto
auszuladen", erzählt Martinez. "Ein Mädchen wurde von ihnen belästigt - und ein
älterer Mann wurde angerempelt, sein Auto ausgeraubt, und die Jugendlichen
hatten Messer gezogen."
Martínez wählt seine Worte sorgfältig. Er möchte die jungen Marokkaner nicht alle
in einen Topf werfen. Aber er sagt auch, dass einige Nachbarn nachts bestimmte
Zonen des Viertels meiden. Die Polizei müsse vor allem jener habhaft werden, die
die Jugendlichen zum Klauen anstiften.
Olivas größte Sorge ist derzeit, all die Ankömmlinge unterzubringen. In den
Notaufnahmezentren können sich die Kinder und Jugendlichen erst einmal
duschen. Sie werden von Ärzten medizinisch und eventuell auch psychologisch
untersucht, bekommen zu essen und zu trinken. Außerdem werden Identität und
Alter der Migranten überprüft, bevor sie eine Unterkunft zugeteilt bekommen.
Sozialarbeiter kümmern sich um sie.
Später können sie Hilfe bei der Berufsausbildung bekommen - und drei Jahre lang
eine finanzielle Unterstützung von gut 600 Euro im Monat. In Spanien sind die
Sozialleistungen nur im Baskenland ähnlich gut. Das weiß man auch in Marokko.
"Es kann sein, dass das Menschen animiert, zu uns zu kommen", sagt Oliva.
"Sicherlich sind das Anreize, herzukommen. Aber selbst wenn das so ist: Wir wer-
den bei der Qualität unserer Leistungen nicht um ein Jota nachgeben, sondern, im
Gegenteil, versuchen, sie zu verbessern!"
Willkommenskultur auf Katalanisch - die aber durchaus ihre Widersprüche hat. So
können erwachsene Marokkaner rasch abgeschoben werden, wenn sie sich illegal
aufhalten. Vor allem dann, wenn sie straffällig geworden sind. Minderjährige da-
gegen dürfen, ja: sollen in Spanien bleiben. So legt es das Ausländergesetz fest.
Des Kindeswohls wegen, sagt Oliva.
Sie stellt sich daher darauf ein, dass der Großteil der Minderjährigen in Katalonien
bleiben wird. Und sie glaubt den Experten, die davon ausgehen, dass im kommen-
den Jahr noch viel mehr ankommen werden.
von Marc Dugge, 10.12.2018
Quelle und gesamter Artikel siehe https://www.tagesschau.de/ausland/minderjaehrige-
fluechtlinge-123.html