Gründung der EWG
Nach 1945 waren der Überdruss am Krieg der Nationalstaaten und die Not,
welche er hervorgerufen hatte, bei den Besiegten und Siegern, so groß, dass
alle Hoffnungen auf der europäischen Einigung ruhten.
Für Deutschland stand noch mehr auf dem Spiel. Nach dem nationalsozialis-
tischen Herrschaftsanspruch über Europa führte der Rückweg in den Kreis der
zivilisierten Völker nur über die Eingliederung in Europa. Der wachsende Ost-
West-Gegensatz und der Koreakrieg ebneten diesen Weg. Die Demontage der
westdeutschen Industrie wurde abgebrochen, ein westdeutscher Staat
errichtet, seine Wiederaufrüstung betrieben.
Frankreich war dies alles nicht geheuer. Europäisierung war Frankreichs
Antwort auf eine Entwicklung, die zu verhindern es nicht stark genug gewesen
war. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sollte die
kriegswichtige Industrie der deutschen Verfügung entziehen, die Europäische
Verteidigungsgemeinschaft (EVG) das deutsche Militär unter europäische Kon-
trolle stellen und die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) die deutsche
Souveränität zügeln.  Adenauer hingegen begriff die Europäisierung als Tor zur
Gleichberechtigung.
Indes gelang nur die Gründung der EGKS, die zum Vorbild der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurde. Diese bildete den Ersatz für EVG und
EPG, die nach einem Regierungswechsel in Frankreich keine Mehrheit mehr
fanden.
Frankreich schaltete nun auf wirtschaftliche Integration um, ohne die politische
aus den Augen zu verlieren. Früher oder später würde sie diese unweigerlich
nach sich ziehen.
Quelle: Dieter Grimm, “Europa ja - aber welches?”, 
           Verlag C.H.Beck oHG, München 2016, S.10ff.