Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament
(1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in
dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen
zum Europäischen Parlament unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen
des betreffenden Mitgliedstaats.
(2) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner,
unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt.
Aktives und passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie
ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen
unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats.
Recht auf eine gute Verwaltung
(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen,
Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb
einer angemessenen Frist behandelt werden.
(2) Dieses Recht umfasst insbesondere
a) das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie
nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird,
b) das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung
des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und
Geschäftsgeheimnisses,
c) die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.
(3) Jede Person hat Anspruch darauf, dass die Union den durch ihre Organe oder
Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den
allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt, die den Rechtsordnungen der
Mitgliedstaaten gemeinsam sind.
(4) Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der
Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten.
Recht auf Zugang zu Dokumenten
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische
Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das
Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen
Stellen der Union, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten
Träger.
Der Europäische Bürgerbeauftragte
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische
Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das
Recht, den Europäischen Bürgerbeauftragten im Falle von Missständen bei der
Tätigkeit der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, mit
Ausnahme des Gerichtshofs der Europäischen Union in Ausübung seiner
Rechtsprechungsbefugnisse, zu befassen.
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische
Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das
Recht, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten.
Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit
(1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) Staatsangehörigen von Drittländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats aufhalten, kann nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und
Aufenthaltsfreiheit gewährt werden.
Diplomatischer und konsularischer Schutz
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger genießen im Hoheitsgebiet eines
Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nicht
vertreten ist, den Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden
eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige
dieses Staates.
Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten
verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel
vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf
einzulegen. Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem
unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem
fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede
Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen. Personen, die nicht über
ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe
erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte
(1) Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld
als unschuldig.
(2) Jedem Angeklagten wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.
Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im
Zusammenhang mit Straftaten und Strafen
(1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die
zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht
strafbar war. Es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung
angedrohte Strafe verhängt werden. Wird nach Begehung einer Straftat durch
Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist diese zu verhängen.
(2) Dieser Artikel schließt nicht aus, dass eine Person wegen einer Handlung oder
Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung nach den
allgemeinen, von der Gesamtheit der Nationen anerkannten Grundsätzen strafbar
war.
(3) Das Strafmaß darf zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein.
Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder
bestraft zu werden
Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem
Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafver-
fahren erneut verfolgt oder bestraft werden.
ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN ÜBER DIE AUSLEGUNG UND
ANWENDUNG DER CHARTA
(1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union
unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich
bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die
Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung
entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der
Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.
(2) Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die
Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten
noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen
festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.
Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze
(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und
Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte
und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und
den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder
den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich
entsprechen.
(2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen
geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen
und Grenzen.
(3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten
entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der
genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht
entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.
(4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den
gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie
im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.
(5) Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können
durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und
sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur
Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten
umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und
bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden.
(6) Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in
dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.
(7) Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst
wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu
berücksichtigen.
Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen Anwen-
dungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die
internationalen Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten
Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die Europäische Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie durch die Verfassungen der
Mitgliedstaaten anerkannt werden.
Verbot des Missbrauchs der Rechte
Keine Bestimmung dieser Charta ist so auszulegen, als begründe sie das Recht,
eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die
in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker
einzuschränken, als dies in der Charta vorgesehen ist.
Der vorstehende Wortlaut übernimmt mit Anpassungen die am 7. Dezember 2000
proklamierte Charta und ersetzt sie ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des
Vertrags von Lissabon
DE C 83/392 Amtsblatt der Europäischen Union 30.3.2010