“Durch meine Ärztin Ursula lernte ich die Welt der fernöstlichen Meditation kennen.
Sie lud zu privaten Videoabenden ein, an denen die Weisheiten eines indischen
Gurus namens Maharaji, der in Kalifornien lebt, über den inneren Frieden verbreitet
wurden. Er war kein üblicher Guru, sondern jung, freundlich, modern, chic, und er
flog sein Privatflugzeug selbst.
“Alles, wonach du suchst, liegt in dir. Suchst du nach einer Antwort? Du bist die
Antwort”, so einfach und einladend war die Botschaft, die mich an die Sufis
erinnerte. Er sagte, dass er jeden Menschen, der ihm ein Jahr lang regelmäßig
zuhört, vier geheime Techniken der Meditation lehren würde. Wenn der Aspirant
Seriösität und Hingabe zeige, dann würde der Meister ihm die Geheimnisse des
Wissens ohne Gegenleistung verraten.
Ich lernte viele der Anhänger von Maharaji kennen, die keinesfalls unter Realitäts-
verlust leidende Versager waren. Es handelte sich meist um Akademiker und recht
bürgerliche Leute, die mitten im Leben standen. Natürlich waren auch ein paar
Freaks dabei, das gehört irgendwie dazu. Maharaji hatte Anhänger in mehr als 150
Ländern der Erde.
Mich erstaunte, wie viele Menschen im vermeintlich aufgeklärten Deutschland auf
der Suche nach der einen oder anderen Form von Gott waren. Nichts boomte so
sehr wie esoterische Wochenenden und Meditations-Crachkurse. Ich hatte früher
gedacht, Gott wäre den Deutschen egal. Oder war das Ganze nur eine Beruhigungs-
tablette gegen die Kopfschmerzen und die Leere der Konsumgesellschaft? (...)
Bei den Maharaji-Anhängern habe ich allerdings echte Hingabe und Kontinuität
gefunden. Ursula kannte ihn schon seit 25 jahren. Sie erzählte, dass sie beinahe
drogenabhängig geworden war, bis sie den damals dreizehnjährigen Maharaji in
Heidelberg kennengelernt hatte. Seine Botschaft und seine Meditationstechniken
hätten ihr Leben grundlegend verändert. Heute ist sie eine erfolgreiche Ärztin,
verheiratet und hat sechs Kinder. Sie ist eine fürsorgliche Mutter, die Familie und
Beruf unter einen Hut bringt, und sie hat immer ein strahlendes Lächeln.
Viele Anhänger, die die Meditationstechniken erhalten haben, berichteten von einer
ähnlichen Transformation in ihrem Leben. (...) Maharaji war für mich eine wohl-
tuende Ablenkung. Es war schön, unter Menschen zu sein, die zur Abwechslung
einmal nicht nörgelten.”
 Quelle: Hamed Abdel-Samad “Abschied vom Himmel”, 2010,
               Knaur Taschenbuch, S.229 ff.