Das Ständige Schiedsgericht in Den Haag hat kürzlich Chinas Ansprüche auf
diverse Inseln und Felsen innerhalb der sogenannten »Neun-Striche-Linie«
zwischen der chinesischen Küste und den Philippinen zurückgewiesen.
Washington hat sich in die Angelegenheit eingemischt und China aufgefordert,
internationales Recht zu befolgen. Gleichzeitig hat das Pentagon in der Region
mit »Rimpac 2016« gestartet, einer internationalen Flottenübung.
Provokanterweise wurde erstmals überhaupt die deutsche Marine eingeladen,
während China größtenteils außen vor bleiben muss. Die Dinge entwickeln sich
ausgesprochen unschön und ganz und gar nicht so, wie es in der öffentlichen
Wahrnehmung den Anschein hat.
Am 12. Juli hatte das fünfköpfige Schiedsgericht seinen Urteilsspruch gefällt,
was die territorialen Ansprüche Chinas und der Philippinen auf die unbewohn-
ten Inseln (größtenteils nackte Felsen) im Südchinesischen Meer anbelangt.
China hatte sich gegen eine Teilnahme an dem Schlichtungsprozess gesperrt
und spricht dem Tribunal die Gerichtsbarkeit für den Fall ab. Ganz speziell ging
es in diesem Fall um die Spratly- und die Paracel-Inseln. Die Inseln liegen in
einer Region, in der die Gebietsansprüche der Chinesen teilweise mit denen
der Philippinen, Vietnams und Taiwans kollidieren.
Gleichzeitig geht es darum, wer das Sagen hat auf dieser Schifffahrtsroute, die
wirtschaftlich so stark genutzt wird, wie keine andere auf der Welt und die
deshalb von hoher militärstrategischer Bedeutung ist. Durch das Südchinesi-
sche Meer werden ungefähr die Hälfte des globalen Frachtverkehrs, ein Drittel
des globalen Öls, zwei Drittel des verflüssigten Erdgases und über 10 Prozent
des weltweiten Fischfangs transportiert. Etwa 5 Billionen Dollar an Handels-
volumen passieren jährlich diese Gewässer. Sollte es in Zukunft einmal zu
einem militärischen Konflikt zwischen Peking und Washington kommen oder
zu Sanktionen gegen China, wäre das Südchinesische Meer Pekings Achilles-
ferse – und bei einer US-Präsidentin Hillary Clinton wäre dieses Szenario ab
2017 gar nicht einmal so unwahrscheinlich.
1994 trat das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) in Kraft.
Seit damals fungierte das Ständige Schiedsgericht in Den Haag bis auf eine
Ausnahme als Anlaufstelle für alle Fälle, die im Zusammenhang mit dem
Abkommen verhandelt werden mussten. Das Tribunal ist kein ständig tagendes
Gericht im traditionellen Sinn, sondern vielmehr eine Einrichtung, die dem
Präsidenten des Internationalen Seegerichtshofs unterstellt ist. Sie ist dafür
gedacht, für bestimmte Streitfälle die Auswahl von Schlichtern zu erleichtern.
Anders als im vorliegenden Fall sollen eigentlich beide Parteien eingebunden
sein.
Urteil nicht bindend
Die Urteile des Ständigen Schiedsgerichts sind rechtlich nicht bindend. Im
aktuellen Fall befand das Tribunal, dass China im Verlauf der Verhandlungen
den Streit verschlimmert und ausgeweitet habe, indem es Gewässer aus-
baggerte und künstliche Inseln aufschüttete und bebaute. Ganz besonders
rügten die Richter, dass China im Bereich des Mischief-Riffs auf einer
trockenfallenden Erhebung, die innerhalb der ausschließlichen Wirt-
schaftszone der Philippinen liegt, eine große künstliche Insel errichtete.
Das Tribunal kam zu dem Schluss, dass Chinas »Neun-Striche-Linie« ungültig
ist, dass die beanspruchten Inseln nicht über eine unter chinesischer
Souveränität stehende ausschließliche Wirtschaftszone verfügen, dass China
gegen geltendes Recht verstieß, als es sich in das philippinische
Fischereigeschäft und die Bergbauaktivitäten einmischte und dass China der
Umwelt Schaden zugefügt habe.
Die Sprache des Tribunals klingt sehr nüchtern und sehr wohl überlegt, aber
geschickt darunter verborgen ist die Tatsache, dass der gesamte Prozess
rechtlich unhaltbar ist. Ein Schlichtungsverfahren setzt voraus, dass beide
Parteien, die eine Lösung für widersprüchliche Ansprüche anstreben, sich
darauf verständigen, eine neutrale Schiedsstelle einzuschalten, um auf diesem
Weg ihren Konflikt beizulegen. In diesem Fall jedoch hat die Washington-
freundliche Regierung von Benigno Aquino III einseitig und auf Drängen der
Regierung Obama in Den Haag ein Schlichtungsverfahren beantragt. Dass die
zweite Partei, China, den Gang zum Schiedsgericht verweigerte, weil man
lieber auf bilaterale Gespräche auf diplomatischer Ebene setzte, wurde dabei
außer Acht gelassen.
Und bezeichnenderweise verlangt das US-Außenministerium nun, dass sich
China an das Urteil des Ständigen Schiedsgerichts hält und die Inseln räumt –
dabei haben die Vereinigten Staaten selbst das Seerechtsübereinkommen
niemals ratifiziert. Es hätte nie zur Anhörung kommen dürfen.
Als die Regierung Aquino 2013 einseitig und mit Rückendeckung Washingtons
den Fall vorantrieb, wurde Peking klar, welch bösartige Absichten Washington
und die NATO im Schilde führen. Ihnen geht es darum, die widersprüchlichen
Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zu militarisieren, so wie sie es
auch im Ostchinesischen Meer getan hatten, als sie sich hinter Japans
Anspruch auf die in der Nähe Taiwans gelegene Inselgruppe stellten, die die
Japaner als Senkaku-Inseln bezeichnen.
Bei den Chinesen heißen die Inseln Diaoyu-Inseln und befinden sich nach
Pekings Lesart seit mindestens 1534 in chinesischem Besitz. Bei einem Treffen
mit Japans Ministerpräsident Shinzô Abe (der im Widerspruch zur Verfassung
seines Landes darauf drängt, Japan wieder militärisch hochzurüsten) erklärte
US-Präsident Obama 2015, Washington würde Japans Anspruch auf die
strategisch bedeutsamen Senkaku-Inseln auch militärisch unterstützen. Als
neutrale, friedlich gedachte Geste oder als Zeichen des guten Willens lässt
sich das wohl kaum auslegen.Die Rückkehr der USA auf die Philippinen war
ein zentraler Bestandteil der »Hinwendung zu Asien«, der Neuausrichtung der
amerikanischen Außenpolitik unter Obama. Inzwischen ist klar, dass sich
dahinter nur eine schlecht getarnte »Hinwendung zu China« verbirgt, in der
Absicht, den wachsenden globalen Einfluss Chinas einzudämmen. Im April
2014 unterschrieb die Regierung Aquino ein Abkommen mit den Vereinigten
Staaten über eine engere Zusammenarbeit in Verteidigungsangelegenheiten.
Dass die bis zum 30. Juni 2016 amtierende Regierung Aquino im Streit um die
Spratly-Inseln gegen den Wunsch Chinas das Schiedsgericht in Den Haag
anrief, war eine vorsätzliche Provokation Pekings und erfolgte mit voller Unter-
stützung der Regierung Obama, die – wie üblich in diesen Zeiten  »von hinten
durchgeführt wurde«.
Japans schmutzige Rolle
Die pro-amerikanische Regierung Aquino beschloss also, einseitig vorzuehen,
wohlwissend, dass China den Schiedsprozess ablehnen würde. Nun ließ sich
die Falle stellen. Im Seerechtsübereinkommen ist festgelegt, dass sich beide
Seiten auf die Zusammensetzung des fünfköpfigen Schiedsgerichts verstän-
digen. Die Philippinen hingegen ernannten einen Richter und – sehr unge-
wöhnlich – der damalige Präsident des Internationalen Seegerichtshofs Shunji
Yanai höchstpersönlich berief die vier anderen Mitglieder … von denen keines
China wohlgesonnen war.
Yanai, ehemaliger Botschafter Japans in Washington, dient dem rechtsgerich-
teten japanischen Ministerpräsidenten Shinzô Abe als Berater. Vor einigen
Jahren musste Yanai nach einem Unterschlagungsskandal das Außenminis-
terium verlassen. 2014, kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Seegerichts-
hof, legte er Abe einen Bericht vor, in dem er sich für ein Ende des Verbots von
militärischen Auslandseinsätzen japanischer Truppen stark macht. Im August
2013 er war noch damit beschäftigt, Schlichter auszuwählen – sagte er dem
japanischen Fernsehsender NHK, dass Japans Inseln bedroht seien, dass
Japan Feinde habe und dass es zur Wahrung der Sicherheit seine militärische
Stärke ausbauen müsse.
Interessanterweise fungiert Yanai auch als Berater für die Mitsubishi Group.
Der größte Rüstungskonzern Japans machte sich wie kein anderes
Industrieunternehmen in den 1920er- und 1930er-Jahren für eine Aufrüstung
des Landes stark. Sollte Japan seine Verfassung so ändern, wie es Yanai
propagiert und Abe unterstützt, dürfte Mitsubishi Milliarden mit Rüstungs-
aufträgen verdienen.
 
Washingtons Hinwendung zu Asien
Bis 2013 hatten China und die Philippinen im Inselstreit auf diplomatischer
Ebene kommuniziert. Dann stellten die Philippinen einseitig und gegen die
Proteste Chinas in Den Haag offiziell den Antrag auf Schlichtung und es kam
zu weiteren, zusehends feindseliger werdenden Aktionen des US-Militärs
gegenüber China. So wurde im Zuge verdeckter Aktionen in Chinas Provinz
Xinjiang Unruhe bei der Bevölkerungsgruppe der Uiguren geschürt, im Sep-
tember 2014 kam es zu Protesten in Hongkong. Drahtzieher war die ameri-
kanische Organisation National Endowment for Democracy. Nun begann
Peking, die wachsende Feindseligkeit sehr ernst zu nehmen, die Washington
gegenüber China an den Tag legte. Ende 2015 vereinbarte die Regierung
Obama mit Japan und anderen Nationen die Transpazifische Partnerschaft
(TPP). Wen ließ man vorsätzlich bei dem Handelsabkommen außen vor? China.
Auch das verdeutlichte Peking, dass die Beziehungen zur NATO und insbe-
sondere zu Washington künftig noch problembehafteter sein würden. Am
allerdeutlichsten war dies allerdings schon 2011 gemacht worden, als
Washington die »Hinwendung zu Asien« beschloss – eine Militärstrategie, die
das verkappte Ziel verfolgt, China einzuschließen.
2011 verkündete die Regierung Obama, die USA würden eine »strategische
Hinwendung« ihrer Außenpolitik vornehmen und ihre militärische und poli-
tische Aufmerksamkeit künftig verstärkt auf den asiatisch-pazifischen Raum
legen, insbesondere auf Südostasien, was nichts anderes bedeutet als: China.
Zum Ende des Jahres 2011 hin definierte die US-Regierung eine neue mili-
tärische Bedrohungsdoktrin.
Der US-Präsident stellte die sogenannte »Obama-Doktrin« bei einer Reise nach
Australien vor. Die folgenden Auszüge aus Obamas Rede in Australien sind für
den Inselstreit von Bedeutung:
»Asien verfügt über den Großteil der globalen Atomwaffen und macht rund die
Hälfte der Weltbevölkerung aus. Deshalb wird Asien sehr stark dafür
verantwortlich sein, ob das vor uns liegende Jahrhundert von Konflikten oder
von Kooperation geprägt sein wird. […] Als Präsident habe ich deshalb eine
vorsätzliche und strategische Entscheidung gefällt – die Vereinigten Staaten
als Pazifik-Anrainer werden eine größere und langfristig angelegte Rolle dabei
spielen, diese Region und ihre Zukunft zu prägen. […] Ich habe meine Berater
zur nationalen Sicherheit angewiesen, unsere Präsenz und Mission im
asiatisch-pazifischen Raum mit höchster Priorität zu behandeln. […] Wir
werden die Ressourcen abstellen, um unsere starke militärische Präsenz in der
Region aufrechtzuerhalten. Wir werden unsere einzigartige Fähigkeit
bewahren, Macht zu projizieren. […] Wir sehen unsere neue Haltung hier in
Australien. […] Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsame Herausforderungen
anpacken können, etwa die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen
und die Sicherheit der Seewege. Dazu zählte auch eine Zusammenarbeit im
Südchinesischen Meer.«
Im August 2011 veröffentlichte das Pentagon seinen Jahresbericht zum
Zustand des chinesischen Militärs. Darin hieß es, China habe in wichtigen
technologischen Bereichen aufgeschlossen. Dank seiner Investitionen in das
Militär habe China »Fähigkeiten anstreben können, die aus unserer Sicht über
das Potenzial verfügen, die regionalen militärischen Machtverhältnisse aus
dem Gleichgewicht zu bringen, das Risiko von Missverständnissen und
Fehleinschätzungen zu erhöhen. »Air-Sea-Battle« bzw. seit Januar 2015 ›Joint
Concept for Access and Maneuver in the Global Commons (JAM-GC)‹ heißt die
antichinesische Strategie, die das Pentagon im Rahmen der Kehrtwende nach
Asien fährt. Laut dieser Strategie würden die USA im Ernstfall mit Stealth-
Bombern und U-Booten Chinas Langstreckenradar ebenso außer Gefecht
setzen wie die tief im Landesinneren stationierten Raketensysteme. Nachdem
China auf diese Weise »blind« gemacht wurde, würden größere Angriffe zu See
und aus der Luft erfolgen. Für diese Militärstrategie ist es von entscheidender
Bedeutung, dass die Marine und Luftwaffe Amerikas in Japan, Taiwan, auf den
Philippinen, in Vietnam und auf Stützpunkten im Südchinesischen Meer und im
Indischen Ozean stationiert sind.
Die Stationierung australischer Truppen und Flotteneinheiten zielt auf das
strategisch wichtige Südchinesische Meer ab und auf den Indischen Ozean.
Erklärtes Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass der Schiffsverkehr in der Straße von
Malakka und im Südchinesischen Meer ungehindert fließen kann.
 
Da verwundert es nicht, dass in Peking einige begannen, sich sehr genau die
Gewässer rund um das Südchinesische Meer anzusehen, und zu überlegen,
welche Rolle diese Gewässer bei einem möglichen Konflikt mit NATO und USA
spielen könnten, bei dem Japan die Drecksarbeit für Washington erledigt.
Es bleibt abzuwarten, wie Rodrigo Duterte, der neugewählte Präsident der
Philippinen, reagieren wird, wenn die USA ihn drängen, den Konflikt mit China
eskalieren zu lassen. Aquino durfte bei den Wahlen im Mai gemäß der Verfas-
sung nicht zur Wiederwahl antreten und Duterte setzte sich mit deutlichem
Vorsprung gegenüber Aquinos Wahl Max Rojas durch. Die Wahlbeteiligung lag
bei 81 Prozent. Anfang Juni – der Wahlsieg stand fest, aber das Urteil aus Den
Haag war noch nicht eingegangen – erklärte Duterte gegenüber den Medien,
mit ihm als Präsidenten werden sich die Philippinen nicht abhängig von den
USA machen. Das spricht für eine Tendenz, im Umgang mit China und bei
Themen rund um das Südchinesische Meer eigenständiger zu agieren.
China und die Philippinen sowie China und Japan streiten um eine Handvoll
feuchter, karger Felsen im Südchinesischen Meer beziehungsweise im
Ostchinesischen Meer. Bei diesen Disputen geht es nicht um mögliche Erdöl-
und Erdgasvorkommen und auch nicht darum, dass Chinas Fischer ein paar
Millionen Fische mehr fangen könnten. Es geht um die Sicherheit Chinas und
der wichtigsten Seefahrtsrouten des Landes. Es wäre schon interessant zu
sehen, wie schnell sich Kompromisse zwischen den einzelnen Parteien
erreichen ließen – vor allem zwischen China und den Philippinen , wenn sich
Washington und Japans Abe-Regierung nicht ständig einmischen würden.
Quelle und gesamter Artikel: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/f-william-
engdahl/warum-china-wegen-ein-paar-felsen-im-meer-in-den-krieg-ziehen-wuerde.html
Streit um Spratly-Inseln