Traiskirchen ist das zentrale Symptom für ein weitreichendes strukturelles
Versagen des föderalen Österreich im Umgang mit Asylwerbern“, so das
vernichtende Urteil von Amnesty International in Richtung Innenministerium
und Länder.
Minderjährige „sich selbst überlassen“
Eine besonders prekäre Situation stelle jene der unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge dar. „Sie sind derzeit nicht ausreichend geschützt in Traiskirchen,
sondern de facto vollkommen sich selbst überlassen“, kritisiert Pichler und
ortet eine Verletzung der UNO-Kinderrechtskonvention. Auch für eine weitere
besonders schutzbedürftige Gruppe - die Frauen - bestehe kein ausreichender
Schutz in Traiskirchen. So gebe es etwa unter den Obdachlosen Schwangere
und Frauen mit neugeborenen Kindern.
Die Duschen in den Sanitäranlagen müssten gemischt genutzt werden, es gebe
nur Nischen ohne Vorhänge. Die Sanitäranlagen befänden sich außerdem in
einem „fürchterlichen hygienischen Zustand“. Viele Asylwerber müssten sich
stundenlang bei sengender Hitze um ihre Identitätskarten anstellen, berichtet
Pichler. Schon ein einfaches Wartenummernsystem wäre eine „deutliche
Verbesserung“.
Teure, „unzuverlässige“ Untersuchungen
Mangelhaft sei auch die medizinische Versorgung - Menschen müssten zum
Teil tagelang auf Behandlungen warten. Für die Tausenden Flüchtlinge, teils
mit traumatischen Kriegserfahrungen, stehen insgesamt nur vier Ärzte und drei
Psychologen zur Verfügung. Die Ärzte hätten nur wenige Stunden pro Tag Zeit,
um sich um kranke Flüchtlinge zu kümmern. Den Großteil ihrer Zeit seien sie
mit Kontrolluntersuchungen bei der Registrierung der Menschen beschäftigt.
„Elend“ und die ungeschützt der Hitze ausgelieferten Menschen, das waren
auch die Eindrücke des medizinischen Experten Siroos Mirzaei. Er kritisiert vor
allem auch die radiologische Untersuchung zur Altersfeststellung, denn diese
sei „unzuverlässig“ und sehr teuer. Das hierfür aufgewendete Geld wäre
besser in der Betreuung aufgehoben, meint er.
Mit einfachen Mitteln vermeidbar
Aus Sicht von AI sind die Missstände ein selbst verschuldetes Problem:
„Österreich ist weder in einer finanziellen Misere noch in einer ressourcen-
knappen Situation: Das Versagen in der Flüchtlingsversorgung wäre leicht
vermeidbar, die Ursachen sind vor allem administrative Fehler. Ein System, das
die Menschenrechte von Asylwerbern schützt und respektiert, ließe sich ohne
wesentlichen Kostenaufwand verwirklichen“, ist Patzelt überzeugt. „Es ist
völlig unnötig und beschämend, beispielsweise einen zwölfjährigen Bub
getrennt von seinem Vater unterzubringen – mit dem Ergebnis, dass beide
lieber im Freien schlafen als getrennt zu sein."Patzelt „unsagbar zornig“
Patzelt erklärte, dass AI Österreich der Zentrale in London laufend Bericht
erstatte. Diese habe dann auch irritiert auf die Information über „Massenob-
dachlosigkeit“ reagiert und zunächst an eine Fehlermeldung geglaubt. Über-
prüfungen von Flüchtlingslagern seien in vielen anderen Ländern „Routine“, in
Mitteleuropa jedoch die Ausnahme. „Ich bin unsagbar zornig“, so Patzelt - der
Staat versage bei der Versorgung von Kriegsflüchtlingen und verletzte etwa die
UNO-Kinderrechtskonvention und die Frauenkonvention. Einzig die Anti-Folter-
Konvention und jene gegen die Todesstrafe würden nicht verletzt, stellte er
fest.
Kritik am „Quoten-Pingpong“
Die Hauptverantwortung für die Situation würden die Bundesregierung und die
Landeshauptleute tragen, sie kämen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung
nicht nach, so Patzelt. Das „Quoten-Pingpong“ sei „unerträglich“.
Flüchtlingsunterbringung sei „kein Gnadenakt“, es handle sich um eine
„Managementaufgabe, die zu lösen ist, wenn man will“. Der „Pseudonotstand“
sei selbst verursacht, meinte der Generalsekretär. Auch er pocht auf rasche,
einfache Lösungen etwa bei den Sanitäranlagen gegen die „unfreiwillige Peep-
show“.
Sollte der Bericht keine Wirkung auf die Unterbringung und Betreuung in
Traiskirchen zeigen, will AI das völlig überfüllte Flüchtlingslager „sehr bald“
wieder prüfen, kündigte Patzelt an.
AI informierte nach der Überprüfung auch das Innenministerium über die
Erkenntnisse, es habe ein „sachliches, offenes Gespräch“ gegeben, so Patzelt.
Er unterstützt die Forderung der Bundesregierung nach verbindlichen Quoten
auf EU-Ebene, denn anderenfalls verdiene die EU keinerlei menschenrechtliche
Anerkennung, so der Generalsekretär.
Angebot von Hilfsorganisationen nicht angenommen
Gefordert wird das bereits angekündigte Durchgriffsrecht des Bundes bei der
Schaffung von Quartieren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen
umgehend einen gesetzlichen Vormund erhalten und Familien bei der
Unterbringung nicht getrennt werden.
AI verwies auch auf das Angebot von Hilfsorganisationen, Ärzte in das
Zentrum zu entsenden - dieses sei bis jetzt jedoch nicht angenommen worden.
Eine einfache Lösung wäre auch bei der Trinkwasserversorgung möglich. Da
es in vielen Ländern nicht üblich ist, dieses aus der Wasserleitung zu
konsumieren, sollte es in Glasflaschen abgefüllt werden, so Patzelt: Man
erwarte „kein teures Evian“.
Erfreut seien die Asylwerber über jene Personen, die privat Hilfsgüter zum
Zentrum bringen, so Pichler.
Quelle und gesamter Bericht: http://orf.at/stories/2293841/2293843/