Wirklich rassistisch war meine Mutter eigentlich nicht, aber sie hasste unser
Dorf. Kein Wunder, denn sie stammt aus Kairo und war nur meinem Vater
zuliebe aufs Land gezogen.
Sie war die einzige Frau aus Kairo im ganzen Dorf, und die einzige, die das
Abitur abgelegt hatte. Es muss unglaublich schwierig für sie gewesen sein, die
moderne Stadt zu verlassen, um in einem eintönigen Dorf im Nirgendwo zu
wohnen.
Noch schlimmer, mein Vater war bereits verheiratet und hatte einen zwei-
jährigen Sohn. Sie musste mit meinem Vater, seiner ersten Frau, seinem Sohn,
seiner Mutter und zwei seiner Brüder samt Familien in einem großen Haus
leben, ohne fließendes Wasser und Strom. Weit und breit gab es keinen Arzt,
keine Einkaufsmöglichkeiten und keine andere Unterhaltung als das
Getratsche der Frauen.
Meine Mutter fiel im Dorf auf, woran sie aber auch nicht ganz unschuldig war.
Als Preis dafür, dass sie ihr bequemes Leben in Kairo für ihn aufgegeben hatte,
überredete sie meinen Vater, kaum dass sie ein Jahr mit ihm verheiratet war,
seine erste Frau zu vestoßen, ihr ein neues Haus aus Stein zu bauen, ein Auto
zu kaufen, und eine Dienerin anzustellen. Mein Vater verkaufte ein Drittel des
Hofs, den er von seinem Vater geerbt hatte, um meiner Mutter ihre Wünsche zu
erfüllen, obwohl es in unserem Dorf als Schande galt, wenn ein Mann ein Stück
Erde, das er geerbt hatte, verkauft. Doch die Liebe meines Vaters und die
Angst, sie zu verlieren, schienen für ihn größer gewesen zu sein als jede
Tradition.“
 Quelle: Hamed Abdel-Samad “Abschied vom Himmel” , S. 68