Natascha Kampusch schreibt in ihrer Autobiographie: “Als ich mich weigerte, ihn “Gebieter”
zu nennen, schrie und tobte er, mehr als einmal hat er mich deswegen geschlagen. Aber
durch mein Verhalten habe ich nicht nur das bisschen eigener Würde gewahrt, sondern
auch einen Hebel gefunden, den ich bedienen konnte. Auch wenn ich dafür mit
unendlichen Schmerzen bezahlte.” („3096 Tage“, S.182)
Die gleiche Situation erlebte ich, als er mich das erste Mal aufforderte, vor ihm zu
knien. (....) Es wäre oft leichter gewesen nachzugeben, und ich hätte mir einige Schläge
und Tritte erspart. Aber ich musste mir in dieser Situation der totalen Unterdrückung
und der völligen Abhängigkeit vom Täter einen letzten Spielraum zum Handeln wahren.
Die Rollen waren zwar klar verteilt, ich war als Gefangene unbestritten das Opfer. Doch
dieses Ringen um das Wort “Gebieter” und um das Knien wurde zu einem Nebenschau-
platz, auf dem wir wie in einem Stellvertreterkrieg um Macht rangen. Ich war ihm
unterlegen, wenn er mich nach Belieben demütigte und mißhandelte. Ich war ihm
unterlegen, wenn er mich einsperrte, mir den Strom abdrehte und mich als
Arbeitssklavin mißbrauchte. Aber in diesem Punkt bot ich ihm die Stirn. Ich nannte ihn
“Verbrecher”, wenn er wollte, dass ich “Gebieter” sagte. Ich sagte “Schnucki” oder
“Schatzi” statt “mein Herr”, um ihm die groteske Situation vor Augen zu führen, in die er
uns beide gebracht hatte. Er bestrafte mich jedesmal dafür.
Es kostete mich unendlich viel Kraft, ihm gegenüber während der ganzen Zeit der
Gefangenschaft konsequent zu bleiben. Immer dagegenhalten. Immer nein sagen. Mich
immer gegen Übergriffe wehren und ihm ruhig erklären, dass er zu weit ging und kein
Recht hatte, mich so zu behandeln. Selbst an Tagen, an denen ich mich schon
aufgegeben hatte und mich völlig wertlos fühlte, konnte ich mir keine Schwäche leisten.
An solchen Tagen sagte ich mir mit meiner kindlichen Sicht auf die Dinge, dass ich es
für ihn tat.  Damit er nicht ein noch böserer Mensch wurde. Als wäre es meine Aufgabe,
ihn vor dem moralischen Absturz zu retten.”  („3096 Tage“, S.183 ff.)